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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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war
es so eng, daß ich nicht wußte, wohin ich den Schutt
räumen sollte. Ich hatte Angst, ich konnte Langby versehentlich
mit einem Brocken treffen, und ich versuchte, die Stücke von dem
Gebälk und Verputz hinter mich zu werfen, doch ich hatte kaum
Platz, um mich umzudrehen. Einen fürchterlichen Augenblick lang
meinte ich, er sei vielleicht gar nicht hier unten, und ich
würde, wenn ich das zersplitterte Holz zur Seite räumte,
nur die leere Bodenplatte sehen, wie damals in der Krypta.
    Die Vorstellung, über ihn hinwegzukriechen, entsetzte mich.
Ich durfte mir gar nicht erst ausmalen, ich träte auf seinen
hilflosen toten Körper. Plötzlich tauchte seine Hand auf,
wie die eines Gespenstes, und umklammerte meinen Knöchel. Ich
arbeitete mit fieberhafter Eile, und Sekunden später hatte ich
seinen Kopf befreit.
    Er war totenblaß, doch mittlerweile flößte mir
das keine Angst mehr ein. »Ich habe die Bombe erstickt«,
sagte er. Ich starrte ihn an, stumm vor Erleichterung. Einen
hysterischen Augenblick lang war mir sogar nach Lachen zumute. So
froh war ich, ihn zu sehen. Endlich fiel mir ein, was ich in dieser
Situation sagen mußte.
    »Alles okay?« fragte ich.
    »Ja«, antwortete er und versuchte, sich auf einen
Ellbogen zu stützen. »Du hast Pech gehabt.«
    Er konnte nicht aufstehen. Als er sein Gewicht auf die rechte
Seite verlagern wollte, stöhnte er vor Schmerzen und fiel
zurück. Unter ihm knirschte widerlich der grobe Schutt. Ich
versuchte, ihn vorsichtig anzuheben, damit ich sah, wo er sich
verletzt hatte. Er mußte auf irgend etwas gefallen sein.
    »Es hat keinen Zweck«, keuchte er. »Ich habe sie
gelöscht.«
    Ich verkniff es mir, ihn verblüfft anzusehen, denn ich nahm
an, daß er fantasierte. Behutsam rollte ich ihn auf die Seite
zurück.
    »Ich weiß, daß du auf diese gewartet hast«,
fuhr er fort, ohne sich gegen mich zu sträuben. »Bei den
vielen Dächern mußte das früher oder später ja
passieren. Aber ich habe aufgepaßt. Was wirst du deinen
Freunden jetzt erzählen?«
    Sein Asbestmantel wies auf dem Rücken einen langen Riß
auf. Die Kleidung darunter war verkohlt und rauchte. Er war auf die
Brandbombe gefallen. »Großer Gott!« hauchte ich.
Verzweifelt versuchte ich festzustellen, wie schlimm die Verbrennung
war, ohne ihn dabei zu berühren. Es war unmöglich zu sehen,
wie schwer er sich verbrannt hatte, doch es schien nur die Stelle
betroffen zu sein, wo der Mantel zerrissen war. Ich wollte die Bombe
unter ihm wegziehen, doch die Metallhülle war glühend
heiß. Sie schmolz aber nicht. Mein Sand und Langbys Körper
hatten die Bombe erstickt. Ich hatte keine Ahnung, ob sie wieder
zünden würde, sobald sie der Luft ausgesetzt war. Ich
suchte nach Handpumpe und Eimer, die Langby bei seinem Sturz verloren
haben mußte.
    »Suchst du eine Waffe?« fragte Langby mit so fester
Stimme, daß ich kaum glauben konnte, daß er sich wirklich
verletzt hatte. »Du brauchst mich doch einfach nur hier
liegenzulassen. Ein bißchen Unterkühlung, und bis morgen
früh habe ich ins Gras gebissen. Oder willst du deine schmutzige
Arbeit lieber selbst machen?«
    Ich richtete mich auf und rief die Männer, die über uns
auf dem Dach standen. Einer leuchtete mit der Taschenlampe ins Loch,
doch der Schein kam nicht bis zu uns auf den Boden.
    »Ist er tot?« rief jemand hinunter.
    »Wir brauchen einen Krankenwagen«, sagte ich. »Er
hat sich verbrannt.«
    Ich half Langby aufzustehen, wobei ich achtgab, daß ich mit
der Brandwunde nicht in Berührung kam. Er taumelte ein
bißchen, dann lehnte er sich gegen die Wand. Er sah mir zu, wie
ich versuchte, die Brandbombe mit Sand zu bedecken. Ein Stück
von einem Brett diente mir als Schaufel. Das Seil wurde
hinuntergelassen, und ich band Langby daran fest. Seit ich ihm beim
Aufstehen geholfen hatte, sprach er kein Wort mehr. Er sah mir ins
Gesicht, während er sich von mir das Tau um den Körper
schlingen ließ. »Ich hätte dich in der Krypta an
Gasvergiftung sterben lassen sollen«, sagte er.
    Mit den Händen stützte er sich leicht, beinahe
lässig, an den hölzernen Streben ab. Ich nahm seine
Hände, legte sie gegen das schlaff durchhängende Seil und
wickelte es dann einmal um die Gelenke, weil ich wußte,
daß ihm die Kraft zum Festhalten fehlte. »Ich beobachte
dich seit dem Tag in der Galerie. Ich wußte, daß dir
nicht wegen der Höhe schwindlig wurde. Du hattest keine Angst,
hier herunterzukommen, als du dachtest, ich hätte deinen
schönen Plan durchkreuzt.

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