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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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explodierte. Das ist mehr als zweifelhaft,
denn das Hauptportal ist kaum der geeignete Ort für ein Gebet.
Es ist eher der Schatten eines Touristen, der kam, um sich nach dem
Windmill-Theater zu erkundigen, oder der Abdruck eines Mädchens,
das einem Freiwilligen einen Schal bringen wollte. Oder die
schemenhafte Kontur eines Katers.
    Man kann nichts in die Ewigkeit hinüberretten, Dekan
Matthews. Das wußte ich schon, als ich am ersten Tag im
Westportal stand und in die dämmrige Stille hineinblickte,
trotzdem ist es sehr schlimm. Es ist schlimm, daß ich hier in
knietiefem Schutt herumwate, aus dem ich keine Klappstühle oder
Freunde herausgraben kann, daß Langby bis zu seinem Tod
glaubte, ich sei ein Nazi-Spion, daß Enola eines Tages kam und
mich nicht mehr antraf. Es ist schrecklich.
    Aber es könnte noch schlimmer sein. Beide sind schon tot,
Dekan Matthews auch. Aber sie starben, ohne zu wissen, was ich die
ganze Zeit lang wußte, was mich in der Flüstergalerie
zusammenbrechen ließ, krank vor Kummer und Scham: daß
letzten Endes keiner von uns St. Paul gerettet hat. Langby kann sich
nicht nach mir umdrehen und mich voller Verzweiflung und
Hoffnungslosigkeit fragen: »Wer hat das getan? Deine Freunde,
die Nazis?« Und ich würde antworten müssen:
»Nein, die Kommunisten.« Das wäre das
Allerschlimmste.
    Ich bin wieder in meinem Zimmer und lasse mir von Kivrin Salbe auf
die Hände schmieren. Sie will, daß ich schlafe. Eigentlich
müßte ich jetzt meine Sachen packen und abreisen. Es wird
eine Demütigung sein, wenn sie kommen und mich hinauswerfen,
aber ich habe nicht die Kraft, mich gegen Kivrin aufzulehnen. Dazu
sieht sie Enola viel zu ähnlich.

1. Januar
    Offenbar habe ich nicht nur die Nacht durchgeschlafen, sondern
auch den Vormittag, wenn die Post kommt. Als ich vorhin aufwachte,
sah ich Kivrin am Fußende meines Betts sitzen. In der Hand
hielt sie einen Umschlag. »Deine Zensuren sind gekommen«,
sagte sie.
    Ich legte mir den Arm über die Augen. »Wenn die wollen,
können die ganz schön fix sein, nicht?«
    »Ja«, antwortete Kivrin.
    »Dann laß mal sehen«, sagte ich und setzte mich
hin. »Wieviel Zeit habe ich noch, bis sie kommen und mich
rauswerfen?«
    Sie gab mir den dünnen Computerumschlag. Ich riß ihn
längs der Perforation auf. »Warte!« rief sie.
»Bevor du das Blatt herausnimmst, möchte ich dir noch etwas
sagen.« Sanft legte sie ihre Hand auf meine Brandwunden.
»Du hast eine zu schlechte Meinung über die Historische
Fakultät. Die Leute da sind wirklich sehr gut.«
    Das hatte ich eigentlich nicht erwartet. »Als sehr gut
würde ich Dunworthy nicht bezeichnen«, antwortete ich und
zog den Bogen heraus.
    Kivrin verzog keine Miene, auch nicht, als ich den
Computerausdruck auf meine Knie legte, wo sie ihn mit Sicherheit
lesen konnte.
    »Na, so was«, sagte ich.
    Der Ausdruck trug die Unterschrift des werten Dunworthy. Ich habe
das Examen bestanden. Mit Auszeichnung.

2. Januar
    Heute kamen zwei Briefe mit der Post. In dem einen befand sich
Kivrins Stellenzuweisung. Die Historische Fakultät denkt auch an
alles – sogar daran, sie so lange hierzulassen, wie sie mich
pflegen muß, sogar an eine künstlich inszenierte
Feuerprobe, die die Geschichtsstudenten bestehen müssen.
    Ich hätte mir gern eingebildet, daß es mit dem
Praktikum genauso war, Enola und Langby lediglich Schauspieler, der
Kater ein intelligenter Roboter, dem man für den
Schlußeffekt die mechanischen Innereien herausgenommen hatte.
Nicht, weil ich Dunworthy seine Fähigkeiten absprechen wollte,
sondern weil mich dann nicht die Ungewißheit gequält
hätte, was aus ihnen geworden war.
    »Sagtest du nicht, du hättest dein Praktikum in England
im 14. Jahrhundert gemacht?« fragte ich Kivrin, wobei ich sie
genauso argwöhnisch beobachtete, wie ich Langby belauert
hatte.
    »1349«, antwortete sie, und ihre Züge erschlafften.
»Das Pestjahr.«
    »Großer Gott!« platzte ich heraus. »Wie
konnten sie dir das antun? Die Pest ist doch eine Zehn.«
    »Ich besitze eine natürliche Immunität«,
erwiderte sie und blickte auf ihre Hände hinab.
    Weil ich nicht wußte, was ich darauf sagen sollte,
öffnete ich den zweiten Umschlag. Er enthielt einen Bericht
über Enola. Ein Computerausdruck voll mit Daten, Fakten,
Statistiken, trockenes Zahlenmaterial, so wie die Historische
Fakultät es liebt. Doch ich erfuhr wenigstens, was ich wissen
wollte: daß sie ihre Erkältung auskurierte und den
Blitzkrieg überlebte. Ihr Bruder Tom kam

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