Brandwache
einem einzigen Tag
verkraften kann. Ich bin nicht in der Lage, einer Jungfrau die
häßlichen Angewohnheiten Browns zu erläutern.
Ich hatte sie unterschätzt. Sie erschauerte ein wenig und
drückte das Notizbuch vor ihre Brust.
»Armes kleines Vieh«, sagte sie.
»Was weißt du über die Sünde?« fragte
sie mich unvermittelt mitten in der Nacht. Wenigstens hatte sie das
Licht ausgemacht. Das war schon ein Fortschritt.
»Eine Menge«, erwiderte ich. »Weshalb, glaubst du,
trage ich wohl dieses hübsche Armband?«
»Ich meine, wenn man wirklich unrecht tut. Einem anderen. Um
sich selbst zu nützen.« Sie hielt inne.
Ich antwortete nicht, und lange sagte sie nichts mehr.
»Ich weiß über die Sache mit dem Verwalter
Bescheid«, kam es schließlich heraus.
Ich hätte nicht überraschter sein können, wenn der
alte Scheißer Moulton aus heiterem Himmel »Gott segne
dich, meine Tochter« über das Intercom gebrüllt
hätte.
»Du bist ein guter Mensch. Ich weiß es.« Ihre
Stimme klang verträumt. Wenn eine andere so gesprochen
hätte, würde ich geglaubt haben, daß sie
masturbierte. »Es gibt Dinge, die du nie tun würdest. Nicht
einmal, um dich zu retten.«
»Und du bist eine eiskalte Verbrecherin, nehme ich
an?«
»Es gibt Dinge, die du niemals tun würdest«,
wiederholte sie schläfrig, und dann fuhr sie ziemlich klar und
beiläufig fort: »Meine Schwester kommt über
Weihnachten her.«
Knall’ mich; sie steckte voller Überraschungen heute
nacht. »Ich dachte, du würdest Weihnachten nach Hause
gehen?«
»Ich werde nie wieder nach Hause gehen.«
»Tavvy!« rief Arabel, daß es über den halben
Campus zu hören war. »Hallo!«
Die Jungs sind ihre Tierchen satt, dachte ich, und wie, verdammte
Scheiße, soll ich jetzt mein Armband loswerden? Ich fühlte
mich so erleichtert, daß ich hätte heulen können.
»Tavvy«, rief sie wieder aus. »Ich habe dich seit
Wochen nicht mehr gesehen!«
»Was ist los?« erkundigte ich mich und wunderte mich,
daß sie die Sache mit den Burschen nicht einfach
herausplärrte; in ihrer gewohnten Freimütigkeit.
»Was glaubst du denn?« erwiderte sie, die Augen
geweitet, und da wußte ich, daß es sich nicht um die
Jungen handelte.
Sie hatten ihre Tessel noch; Brown und Sept und alle anderen. Sie
hatten die Tessel noch. Es sind nur Viecher, wies ich mich
selbst zurecht; es sind nur Viecher, weshalb solltest du
ihretwegen ausrasten? Dein Vater hat nur dein Bestes im Sinn.
Komm’ zu Daddy.
»Die Sekretärin des Verwalters hat gekündigt«,
sagte Arabel. »Und ich bin wegen einer Samuraiparty in meinem
Zimmer zur Restriktion verknackt worden.« Sie zuckte mit den
Achseln. »Es war das beste Angebot, das ich den ganzen Herbst
über bekommen habe.«
Ja, aber du bist ein Treuhandkind, Arabel. Du bist ein
Treuhandkind. Er könnte dein Vater sein. Komm’ zu
Papi.
»Du siehst furchtbar aus«, sagte Arabel.
»Fährst du zuviel Float ein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Weißt du, was die Jungs
mit ihnen anstellen?«
»Tavvy, Liebste, kannst du dir wirklich nicht vorstellen,
wozu dieses große rosa Loch gedacht ist…«
»Der Vater meiner Stubenkameradin hat ihr die Haare
abgeschnitten«, sagte ich. »Sie ist eine Jungfrau. Sie hat
niemandem etwas zuleide getan. Und er hat ihr alle Haare
abgeschnitten.«
»He«, sagte Arabel, »du flippst ja echt aus.
Hör mal, wie lange hast du keinen Fick mehr gehabt? Ich kann es
für dich arrangieren; jüngere Burschen als der Verwalter;
kein Grund, sich Gedanken zu machen. Garantiert keine Treuhandtypen.
Ich könnte dich vermitteln.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe kein
Bedürfnis.«
»Hör mal, ich mach’ mir Sorgen wegen dir. Ich
möchte nicht daß du ausflippst, wenn ich es verhindern
kann. Laß mich wenigstens den Verwalter auf dein Alarmarmband
hin ansprechen.«
»Nein«, erwiderte ich entschieden. »Mir geht es
gut, Arabel. Ich muß zusehen, daß ich in die Klasse
komme.«
»Laß dir diese Tessel nicht zu nahe gehen, Tavvy. Es
sind nur Viecher.«
»Ja.«
Ich wanderte von ihr fort über den verdammten, von Zweigen
übersäten Campus. Sobald ich aus ihrer Sichtweite war,
sackte ich gegen den Stamm eines dieser riesigen Kapokbäume
zusammen, klammerte mich an ihn, wie sich Zibet an das Wandpaneel
geklammert hatte. Als hinge mein Leben davon ab.
* * *
Zibet erwähnte ihre Schwester nicht mehr bis kurz vor
Weihnachten. Ihr Haar wuchs nicht aus, wie ich erwartet hatte,
sondern wirkte im Gegenteil noch fransiger als
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