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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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»Weibliche
Intuition«, sagte er. »Du weißt etwas; gib es
zu.«
    Meg sah ihm mit festem Blick in die Augen.
    »Hast du etwas gesehen?«
    Ja. Eine Zeichnung im Staub auf einem Wagenfenster. Zwei
Missiles in einer Stadt von der Größe eines
Gucklochbetrachters. Vier Wissenschaftler, die so exakt wie
Wissenschaftler aussahen, daß sie aus einem Film der National Geographic hätten kopiert sein können, und
die sich nicht wegen dieses Sturmes grämten. Eine Sonne, die von
einem Kind gemalt war. Ja, ich habe eine Menge Dinge gesehen. Aber
ich bin die einzige, die sie sah. Wem fallen schon vier
Wissenschaftler auf, in einer Stadt voller Wissenschaftler? Er sollte
schon bemerken, daß sie eine seltsame fremde Sprache sprechen?
Jeder hier redet in wissenschaftlichen Ausdrücken, und was
könnte fremdartiger sein? Wer bemerkt überhaupt etwas? Ihr
alle seht in den Himmel. Sie sagte nichts.
    »Wie um alles in der Welt kannst du glauben, daß sich
dieses Unwetter bis acht Uhr dreißig verzieht?«
    »Klipse?« fragte Laynie von ihrem Bett aus.
    »Klipse«, erwiderte Meg mit fester Stimme. »Und
jetzt ziehen wir uns an, damit wir frühstücken
können.«
     
    Sie nahmen vor der Hochschule Aufstellung. Meg konnte die vier
nirgendwo sehen. Nicht einmal die Sonnenscheibe war durch die graue
Wolkendecke zu sehen, obwohl man sie durch das Teleskop erkennen
konnte.
    »Der Kontakt vollzieht sich«, sagte einer der
rothaarigen Jungen um acht Uhr einundzwanzig, und vereinzelt wurde
Applaus hörbar.
    »Sonne?« fragte Laynie.
    »Hinter den Wolken«, erwiderte Rich.
    Alle waren damit beschäftigt, die Teleskope aufzustellen, die
Kameras und Doppelfernrohre, um Abbilder auf den Schnee zu
projizieren. Niemand sah zum Himmel. Das ältere Paar ließ
Laynie durch ein aus einem Hafermehlkarton gefertigten
Gucklochbetrachter schauen, obwohl gar nichts zu sehen war. Meg
wanderte mit Laynie um das Hochschulgebäude und schärfte
ihr nachdrücklich ein, nicht in die Sonne zu schauen, bevor sie
die Spezialgläser angezogen habe, die Daddy gemacht hatte.
    Um neun Uhr vier fand sie ihre Wissenschaftler, wo sie zuvor
gewesen waren, auf dem Tennisplatz auf der Rückseite des
Gebäudes. Sie stellten ihre Ausrüstung auf, die zum
größten Teil aus kurzen und gedrungenen Geräten von
der gleichen verwaschenen Khakifarbe wie das Missile im Park bestand.
Sie redeten angeregt aufeinander ein und sahen in den Himmel und
nickten.
    Um neun Uhr fünf fingen die Wolken in der Umgebung der Sonne
an, in einem unregelmäßigen Umkreis fortzutreiben, und die
Sonnenscheibe wurde blaß sichtbar. Meg hieß Laynie die
Spezialbrille anziehen. Um neun Uhr siebzehn kam die Sonne hervor,
und alle jubelten. Meg ging mit Laynie wieder zurück zur
Frontseite der Schule, wo Rich das Teleskop aufgestellt hatte.
    Rich sah aus, als sei er außer sich; das bedeutete,
daß er Hoffnung hatte. Er und Paulos trugen aus
Kleenextüchern und Schutzfolie gefertigte Augenblenden.
    Im Westen begann es, sich zu verfinstern; eine purpurblaue
Dunkelheit wie bei einem sommerlichen Unwetter. Meg betrachtete durch
das Teleskop den schwindenden Sonnenrand, der noch immer zu hell
glänzte, um ihn im jetzt vollständig dunkelblauen
östlichen Teil des Himmels mit dem unbewehrten Auge
anzuschauen.
    Um neun Uhr vierundzwanzig sagte Paulos: »Sie vollendet
sich.«
    Meg hob Laynie hoch und begann, sich von den Männern fort in
Richtung des Tennisplatzes fortzustehlen. Es wurde allmählich
sehr dunkel. Laynie umklammerte Megs Hals und kniff die Augen unter
der Schutzbrille fest zu. Plötzlich flogen Schatten über
Meg wie ein Erschauern. Sie blickte hoch.
    Und war von der Eklipse gefangen. Ein Aufblitzen, wie das Licht,
das sich in einem Diamanten bricht; und dann war es soweit; die Sonne
war vom Himmel verschwunden. Er war völlig finster. Lichtreflexe
im Schnee. Der Wissenschaftsdozent hatte es gestern dem Auditorium
erklärt. Er hatte sie aber nicht darauf vorbereitet, wie
schön es war. Der Himmel war blau wie in der
Morgendämmerung; und die zurückweichenden Wolken
schimmerten rosa darin wie kurz vor Sonnenaufgang. Im Zentrum des
matten Blaus sandte die Sonne hinter dem Mond ihre Flammen nach allen
Seiten aus.
    Meg löste Laynies Arm von ihrem Hals und nahm ihr die Brille
ab. »Das ist sie, Laynie-Liebling«, flüsterte sie.
»Die Eklipse; schau sie dir an.«
    Laynie wandte sich eingeschüchtert um, als würde sie
einem Unbekannten vorgestellt. »O«, sagte sie mit
dünner Stimme und steckte den

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