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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Schreck einzujagen.« Das war eine
bemerkenswert freimütige Äußerung gewesen, wie sie
nicht einmal bei ihrer toleranten Großmutter möglich
gewesen wäre, sondern nur hier im Zug hatte getan werden
können. Sie hatte ihm ein Lächeln geschenkt.
    »Du bist nicht einmal erschrocken, oder?«
    Sie hatte sich verpflichtet gefühlt, ihm ebenso
freimütig zu antworten. »Nein«, hatte sie gesagt,
»überhaupt nicht.«
    »Weshalb nicht?«
    Weil es nicht wehtun wird. Weil ich mich später nicht
daran erinnern werde. Weil ich in der Sonne stehen werde… ohne
Eimerchen und Schäufelchen… und hochschauen werde, ohne
Angst zu haben. »Ich weiß nicht«, hatte sie
erwidert. »Ich hab’ einfach keine Angst.«
    »Ich schon. Ich träume immer davon, zu verbrennen. Ich
denke daran, wie weh es tut, wenn ich mir nur den Finger verbrenne,
und dann träume ich davon, wie es erst wehtun muß, wenn
man überall und immer brennt.« Er hatte Mutter auch
über seine Träume belogen.
    »So wird es nicht sein«, hatte Daisy erwidert. »Wir
werden es nicht einmal merken, wenn es geschieht. Wir werden uns an
nichts erinnern.«
    »Wenn die Sonne zur Nova wird, fängt sie an, sich selbst
aufzubrauchen. Das Sonnenzentrum füllt sich immer mehr mit
atomaren Verbrennungsrückständen, und das setzt den
Prozeß der Selbstverbrennung in Gang. Hast du gewußt,
daß es im Inneren der Sonne stockdunkel ist? Die Strahlung
besteht aus Röntgenstrahlen, weißt du; und sie sind zu
kurz, um sichtbar zu sein. Sie sind unsichtbar. Es ist stockdunkel,
und rings um dich herum rieselt Asche. Kannst du dir das
vorstellen?«
    »Es spielt keine Rolle.« Sie waren an einer Wiese
vorbeigefahren, und auf Daisys Gesicht hatte voller Sonnenschein
gelegen. »Wir werden nicht dabei sein. Wir werden tot sein. Wir
werden uns nicht erinnern.«
    Daisy hatte nicht vorausgesehen, wie erfreut sie sein würde,
ihre Großmutter zu sehen, deren schmales Gesicht und
bloßen Arme von der Sonne gebräunt waren. Sie hatte nicht
einmal einen Hut getragen. »Daisy, mein Liebling, du wirst
erwachsen«, hatte sie gesagt. Wenn sie es sagte, klang es nicht
wie ein Todesurteil. »Und David; wie ich sehe, trägst du
die Nase noch immer in einem Buch.«
    Als sie bei dem kleinen Haus der Großmutter ankamen, war es
fast dunkel gewesen. »Was ist das?« hatte David gefragt,
als sie an der Veranda standen.
    Großmutters Stimme hatte überhaupt nicht
gefahrverkündend geklungen, als sie erwiderte: »Eine Aurora
Borealis. Ich habe euch gesagt, daß hier in der letzten Zeit
einiges zu sehen war. Es ist wie an jenem vierten Juli.«
    Es war Daisy bisher nicht bewußt gewesen, wie sie sich nach
jemandem gesehnt hatte, der sich nicht fürchtete. Sie hatte
hochgeblickt. Mächtige Vorhänge aus rotem Licht, die
beinahe bis zum Zenit hinaufreichten, waren von unbekannten solaren
Winden aufgebauscht worden. »Es ist wunderschön«,
hatte Daisy geflüstert; aber Großmutter hatte ihnen die
Tür aufgehalten, damit sie hineingingen; und glücklich
darüber, das klare Licht in den Augen der Großmutter zu
erblicken, war sie ihr in die kleine Küche mit dem roten
Linoleumtisch und den roten Vorhängen an den Fenstern
gefolgt.
    »Es ist schön, Gesellschaft zu haben«, hatte
Großmutter gesagt und war auf einen Sessel gestiegen.
»Daisy, hältst du bitte dieses Ende?« Sie hatte Daisy
das Ende eines gelben Plastik-Meßbandes hingehalten. Daisy
hatte es angenommen und Großmutter ängstlich angeschaut.
»Was hast du vor?« hatte sie gefragt.
    »Ich nehme für neue Vorhänge Maß, meine
Liebe«, hatte sie erwidert; in die Tasche gegriffen und einen
Zettel und einen Bleistift hervorgeholt. »Wie ist die
Länge, Daisy?«
    »Weshalb brauchst du neue Vorhänge?« hatte sie
gefragt. »Die hier sehen doch noch gut aus.«
    »Sie halten die Sonne nicht ab«, hatte Großmutter
gesagt. Ihre Augen waren vor Furcht kohlschwarz geworden. Ihre Stimme
war mit jedem Wort schriller geworden. »Wir müssen neue
Vorhänge haben, Daisy; und es gibt keinen Stoff. In der ganzen
Stadt nicht, Daisy. Kannst du dir das vorstellen? Wir mußten in
Ottawa nachfragen. Die Händler hier haben allen Stoff in die
Stadt gebracht. Kannst du dir das vorstellen, Daisy?«
    »Ja«, hatte sie erwidert und sich gewünscht, Furcht
haben zu können.
     
    Ron hielt ihre Hände noch immer fest. Sie sah ihn unverwandt
an. »Schon wieder wärmer, Daisy«, sagte er. »Fast
bist du dort.«
    »Ja«, erwiderte sie.
    Er gab ihre Finger frei und stand von der Couch

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