Brandzeichen
zurückzuführen war, dass eine Botschaft in der gestohlenen Puppe verborgen sein könnte.
»Ja, das habe ich tatsächlich«, sagte Diane. »In ihrem Köpfchen steckte eine kleine Papierrolle, auf der eine verschlüsselte Botschaft stand. Ich habe Sie gefragt, ob Sie als Kind Botschaften in Ihren Puppen versteckt haben, weil ich sichergehen wollte, dass Sie diesen Zettel nicht selbst hineingesteckt haben. Dann hätte er ja keine Bedeutung für die gegenwärtigen Ereignisse gehabt. Aber da jemand die Puppe geraubt hat, könnte man jetzt doch auf einen Zusammenhang schließen …« Diane holte den Computerausdruck aus der Tasche. »Das hier hat jemand auf ein Stück vergilbtes Zeitungspapier geschrieben.«
Großmutter und Enkelin betrachteten die unverständlichen Buchstabenreihen.
»Na ja, von Leo Parrish wird das ja wohl nicht gerade stammen«, sagte Mrs. Torkel prustend und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
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43
W er ist denn Leo Parrish?«, fragte Diane.
»Der Name klingt irgendwie vertraut«, sagte Juliet.
»Das sollte er auch, Liebes. Es ist eine alte Legende, die man sich in der Gegend von Glendale-Marsh schon seit vielen Jahren erzählt.«
Die Kellnerin kam vorbei und fragte, ob jemand Kaffee möchte. Diane hätte sich jetzt am liebsten ein Bier gegönnt, aber Koffein würde im Augenblick auch seine Wirkung tun. Alle drei bestellten sich also einen Kaffee.
»Leo Parrish war der junge Mann …« Ruby Torkel hielt inne. »Ich muss vor Leo anfangen. Ich muss mit dem Hurrikan anfangen, der etwa im Jahr 1935 die Florida Keys verwüstete und fürchterlich viele Opfer forderte. Ich war damals noch ein kleines Baby. Sie nannten es den Labor-Day-Sturm. Damals hat man Hurrikans noch keine Personennamen gegeben. Sie haben dann einen Zug hingeschickt, der die Leute abholen sollte, die auf diesen Inselchen vor Florida festsaßen. Der Legende nach hat ein Mann, kurz bevor der Sturm zuschlug, einen Bahnangestellten überredet, dass er sein Gold in diesen Zug laden dürfe, um es in Sicherheit zu bringen. Also das zeigt doch, dass diese Geschichte unmöglich stimmen kann. Dieser Zug fuhr ja
in Richtung
der Keys, also in den Sturm
hinein
und nicht von ihm weg! Warum würde ein vernünftiger Mensch sein Vermögen mit einem Zug in Sicherheit bringen wollen, der in den Hurrikan hineinfährt?«
»Vielleicht war er auf der Flucht und musste unbedingt die Stadt verlassen, oder er musste aus irgendeinem Grund sein Vermögen vor jemandem schützen«, sagte Juliet. »Seine einzige Chance war dann dieser Zug, und der hätte ja auch trotz des Sturms sein Ziel sicher erreichen können. Er dachte wohl, dass die Eisenbahngesellschaft ihren Zug nicht einer übergroßen Gefahr aussetzen würde. Sie hatten ja mehr zu verlieren als er.«
»Vielleicht«, gab ihre Großmutter zu. »Die Einzelheiten der Geschichte variieren je nach Erzähler. Einige behaupten, das Gold stamme von einem spanischen Schatzschiff, andere, es stamme aus dem Bürgerkrieg. Ich halte das Ganze für absoluten Quatsch.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Ob ich wohl noch ein Stück von diesem Schokoladenkuchen haben könnte? Der würde ausgezeichnet zu dieser Tasse Kaffee passen.«
Diane rief die Kellnerin herbei und bestellte für Mrs. Torkel ein weiteres Stück Kuchen.
»Wie dem auch sei, der Zug sollte die Keys nie erreichen. Er wurde wahrscheinlich auf dem Damm zu den Inseln von den Gleisen gespült, und das Gold verschwand im Ozean, in einem Fluss oder versank im Schlamm, je nachdem, wer einem die Geschichte erzählt.«
»Die Geschichte habe ich noch nie gehört«, sagte Juliet.
»Aber sicher. Du musst sie schon einmal gehört haben. Jeder in Glendale-Marsh kennt diese Geschichte«, sagte Mrs. Torkel.
»Und wann kommt dieser Leo Parrish ins Spiel?«, drängte Juliet.
»Zu ihm komme ich gleich«, sagte ihre Großmutter. »Du warst immer schon ein ungeduldiges Kind. Leo Parrish lebte in den späten dreißiger Jahren in Glendale-Marsh. Ich weiß nicht viel über ihn oder wo seine Familie herkommt, aber er war damals wohl Anfang oder Mitte zwanzig. Er gehörte zu der Sorte Leute, die immer auf den schnellen Gewinn aus sind. Man erzählt sich nun, dass er sich für die Geschichte des verschwundenen Schatzes zu interessieren begann und tatsächlich irgendwie herausbekam, wo er verlorengegangen sein musste.«
In diesem Augenblick brachte die Kellnerin jedem am Tisch ein Stück Schokoladenkuchen. Diane merkte jetzt, dass sie nichts zu Mittag gegessen
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