Brandzeichen
worden waren. Es waren nur noch einige wenige Fragmente übrig. Als sie auch diese noch eingefügt hatte, verfügte sie über zwei vollständige Gesichtsschädel.
Sie brachte beide in ihr »Knochengewölbe«, legte erst den einen, dann den anderen auf den Drehtisch und scannte jeden mit ihrem Laserscanner. Danach ließ sie mit ihrer Spezialsoftware ihren Computer zuerst das Gesicht des unbekannten Opfers und danach noch einmal das des ersten im Keller gefundenen Toten rekonstruieren. Diese erneute Rekonstruktion auf Grundlage fast der gesamten Gesichtsknochen würde nun ein viel genaueres Abbild ergeben. Obwohl die Polizei den Mann ja schon identifiziert hatte, konnte sie jetzt vielleicht noch genauer seine letzten Stunden nachvollziehen, bevor ihn die Explosion in tausend Stücke zerrissen hatte.
Während das Computerprogramm auf dem Bildschirm allmählich ein Gesicht entstehen ließ, ging Diane wieder in ihr Knochenlabor zurück, um sich der mühseligen Aufgabe zu widmen, die beiden Skelette voneinander zu trennen. Dazu musste sie die einzelnen Knochen vermessen und vor allem die Gelenkoberflächen untersuchen. Die Aufgabe wurde ihr etwas leichter gemacht, da die beiden Männer unterschiedlich groß gewesen waren. Einer war ein athletischer Typ, was an den kräftigen Muskelansätzen an den Armen, Beinen und Beckenknochen zu erkennen war. Der andere hatte wohl eher eine sitzende Tätigkeit ausgeübt.
Der athletische Mann war etwa zehn Jahre älter, was an den sternalen Enden seiner Rippen, verschiedenen Epiphysen und dem Zustand seiner Schambeinfuge zu erkennen war. Auf seinem Schulterblatt befand sich eine verheilte Wunde, die wahrscheinlich von einer Schusswaffe stammte. Sie hatte sicherlich den Bewegungsbereich seiner Arme und Schultern nicht unwesentlich vermindert. Aus der Größe seiner Muskelansätze konnte man aber schließen, dass er diesen Verlust durch eine Stärkung seiner Arm- und Schultermuskeln teilweise kompensieren konnte. Ganz allmählich trennte sie die beiden Skelette voneinander, bis jedes auf seinem eigenen Tisch lag.
Danach ging sie in ihr Gewölbe zurück, um sich die Gesichter anzuschauen. Als sie eintrat, war auf dem Bildschirm gerade das erneut gescannte Gesicht des ersten, bereits identifizierten Opfers aus dem Keller zu sehen. Natürlich glich es der ersten Version, sah aber jetzt weit realistischer aus. Tatsächlich sind Gesichter ja nicht absolut symmetrisch. Zwischen ihrer linken und rechten Hälfte gibt es immer leichte Abweichungen. Wenn man also bei der Gesichtsreproduktion aufgrund fehlender Knochen nur eine Seite verdoppelt, führt das zu einem recht seltsam aussehenden Ebenbild. Dieses Gesicht hatte dagegen einen recht lebendigen Ausdruck.
Als Nächstes schaltete sie um, sah sich das andere Gesicht an – und erstarrte. Es hätte Marcus McNairs Bruder gehören können, so groß war die Ähnlichkeit.
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45
D iane starrte auf das rekonstruierte Gesicht auf dem Computerbildschirm.
War es das, was Marcus McNair sie nicht hatte finden lassen wollen? Ein Verwandter? Warum war er nicht als vermisst gemeldet? Hatte er keine anderen Familienangehörigen, die ihn vermisst hätten? Eltern, Frau, Kinder, Freundin, Freunde?
Sie hob den Hörer ab und rief Garnett an.
»Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen«, meldete sich dieser. »Wir haben den Wagen in einer Schlucht fünfzehn Kilometer vor der Stadt gefunden. Er ist ausgebrannt. Keine Leichen.«
»Ich schicke David hin«, sagte Diane. »Vielleicht findet er doch noch etwas Brauchbares.«
Sie war enttäuscht, aber nicht überrascht, dass die Täter diesen Wagen entsorgt hatten. Sie hätte darauf gewettet, dass er sowieso gestohlen war. Sie ließ sich den Weg zu der Schlucht beschreiben, bevor sie sich dem Grund ihres Anrufs zuwandte.
»Hatte McNair einen Bruder oder Vetter, etwa Mitte dreißig, dem man einmal in die Schulter geschossen hat und der ihm sehr ähnlich sah?«
Garnett schwieg ein paar Sekunden. »Er hat einen Vetter, Eric McNair, auf den diese Beschreibung passt. Warum fragen Sie?«
»Ich habe gerade die Rekonstruktion des zweiten Schädels beendet, den wir im Keller gefunden haben. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich das computergenerierte Gesicht anschaute und McNairs Ebenbild erblickte.«
»Mm. Das wirft ja ein völlig neues Licht auf die ganze Angelegenheit«, sagte Garnett. »Ich kann mir vorstellen, dass das ein Schock für Sie war. Also dort ist Eric gelandet.«
»Wer ist er,
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