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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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war, hielt er sich für tüchtig, sah in dem, was sich zutrug, ein Ergebnis seiner persönlichen Überlegenheit. Obwohl er sich so wortkarg wie immer benahm, lief er nun in stolzgeschwellter Haltung umher (dabei merkte er nicht einmal, daß ihm Kinder nachrannten und ihn verspotteten). Die Goldmünzen blieben, wo sie waren, nämlich unter seiner Bettstatt. Nacht für Nacht gab er sich den gleichen Träumen hin, doch in der Morgenfrühe ließ er die Träume Träume sein und fuhr mit seinem Boot aufs Meer, so wie er es getan hatte, seit er alt genug war, um eine Angelschnur zu halten. Allein saß er im Boot und brabbelte vor sich hin. Wenn ich Goldmünzen ausgebe, sagte er sich, wird man wissen wollen, woher ich sie habe, Diebe werden kommen, um mich zu bestehlen, man wird Lohnmörder schicken, um mich zu beseitigen. Folglich blieb das Gold unter seinem Bett, und seine Träume blieben Träume. Sein Fuß hingegen wurde schlimmer, der Zeh schwoll stärker an, verfärbte sich schwarz. Sein täglicher Fang schrumpfte auf den vorherigen Umfang zusammen, die Schufterei eines vollen Tages genügte kaum, um die Pacht zu zahlen, Essen zu kaufen und für einen Krug vom billigsten Wein, der ihm beim Betäuben der Schmerzen half.
    Am sechsten Tag erfaßte eine Bö das Boot, ehe er mehr als ein paar Bootslängen vom Ufer entfernt war, zertrümmerte das klägliche Gefährt zu einem Wirrwarr zerbrochener Planken und Balken. Den gesamten Tag brauchte Raskatak, um die Überreste zusammenzusuchen; dann ging er Treibholz sammeln, um das Boot so gut wie möglich wieder zurechtzuzimmern. Er hatte mehr als genug Gold für ein Dutzend solcher Boote, aber es für so einen Zweck auszugeben, kam ihm kein einziges Mal in den Sinn. Einen Tag lang arbeitete er an dem Boot; anschließend kehrte er heim, um zu essen und von neuem in seinen Träumen zu schwelgen. Am Morgen darauf konnte er nicht vom Bett aufstehen, sein ganzer Fuß war schwarz geworden, das Bein geschwollen, sein Körper schweißig von Fieber.
    Am Ende der Woche war er tot.
    Daraus magst du das folgende lernen, hatte Gerontai zu Taguiloa gesagt: Nutz dein Glück, oder es verdirbt dir so wie Raskataks Zeh.
    Linjijan war ein Jüngling mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht, neunzehn oder zwanzig Jahre, von sehnighagerer Gestalt, seine Hände wiesen von der Arbeit an Bord des Fischerboots Risse und Schwielen auf, hatten jedoch trotzdem die Beweglichkeit und Geschmeidigkeit der Hände seines Großonkels bewahrt. Taguiloa erwiderte seinen friedlichen, jeder Neugier baren Blick und stöhnte inwendig. Der Jüngling wirkte, als wäre er so unselbständig wie ein tagalter Säugling. Aber dann merkte Taguiloa, wie Schwarzdorn, Brann und Harra ihm zulächelten, ihm das halb gereizte, halb von Bewunderung bestimmte Lächeln zeigten, wie eine Mutter es einem garstigen, aber sehr geliebten Kind widmen mochte — und änderte seine Meinung. Linjijan war einer der wirklich Beglückten auf der Erde. Solange er seine Musik hatte, wäre er zufrieden, und alles, was er benötigte, um leben und selbige Musik spielen zu können, fiele ihm ungefragt zu. Frauen und Männer würden für ihn sorgen, ihn beschützen, ihn lieben, und wenn sie sich noch so gehörig über ihn ärgerten. Taguiloa seufzte, aber versprach Tungjii noch mehr Räucherwerk und einen kostenlosen Auftritt anläßlich der Glückstagsfeiern. Er lauschte Linjijans Flötenspiel, seufzte anschließend nochmals, trat unauffällig beiseite und zu Ladjinatuai. »Danke«, sagte er kurz und bündig zu dem greisen Flötisten.
    Der Alte verzog den Mund zu einem Lächeln, das ihm die Lippen straffte, genoß wohl die Mehrdeutigkeit des einen Worts. Er schnippte mit den Fingern. Linjijan hörte zu spielen auf, kam herüber und kauerte sich zu ihm. »Möchtest du mit ihm gehen?« Ladjinatuai nickte in Taguiloas Richtung. Linjijan nickte. Er hatte bisher noch kein Wort gesprochen, nicht einmal mit seinem Großonkel, auch ihn bloß mit einem Lächeln und einem Nicken begrüßt. »Das wäre also geklärt. Komm!« Der Alte zog sich ans andere Ende der Räumlichkeit zurück und setzte sich mit dem Rücken an die Wand; Linjijan nahm neben ihm Platz.
    Auf dem Diwan regte sich Tari, den Blick unverwandt auf Brann geheftet. Seit dem Augenblick, da Taguiloa sie hineingeleitet hatte, galt Taris Aufmerksamkeit ausschließlich Branns Gesicht, wie Taguiloa dank mehrmaligen Hinschauens, während er Linjijans Flöten lauschte, beobachtet hatte. »Saör Brann«,

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