Brann 02 - Blaue Magie
ihren Körper, bis sie Kopf, Schultern und einen Arm durchs Fenster geschoben hatte, dann ließ sie die Ranke los, strampelte mit den Beinen, bis sie kopfüber in die Kammer und auf den Fußboden plumpste; sie fing sich mit den Händen ab, überschlug sich. Als sie sich erhob, war ihr ein bißchen schwindelig, das eine Handgelenk war etwas ungünstig auf den Steinboden geprallt und schmerzte. Sie knüpfte die Sandalen vom Gürtel, stellte sie in ein Regal, zog die Kleidung des Hausmädchens aus, säuberte sich mit der Bluse Hände und Füße, dachte mit schlechtem Gewissen an Daniel Akamarinos Bemerkung; er hatte damit recht gehabt, und nun mußte sie ihm um so mehr recht geben, denn niemand würde diese Fetzen noch tragen können. Sie entnahm ihrer Börse drei Silberlinge — das letzte Geld, das sie von dem in der Höhle des Angeketteten Gottes vorgefundenen Schatz übrig hatte —, wickelte sie in die Lumpen und sagte sich dabei, daß sie das auf alle Fälle getan hätte, von sich aus, auch ohne daß Daniel seine lange Nase in ihre Angelegenheiten steckte. Sie streifte sich ihr Nachthemd über den Kopf, strich es glatt, öffnete die Tür einen Spalt weit, spähte in den Flur. Alles war ruhig, man hörte nur die leisen Laute Schlafender. Schatten. Kori wagte den Kopf in den Flur zu schieben, schaute in beide Richtungen. Ruhe. Schatten. Sie schlüpfte durch den Türspalt, schaffte es, die Tür mit einem kaum hörbaren Klicken zu schließen — dem Geräusch, mit dem der Riegel einrastete — und lief auf Zehenspitzen zu den Schlafräumen der Hausmädchen im Westflügel. Sie hatte keine Zeit mehr, um langsam und umsichtig vorzugehen; bis zum Morgengrauen konnte es nicht mehr lange sein, und das Wecken erfolgte in aller Frühe. Sie hastete in den Westflügel, legte die zusammengerollte Kleidung dorthin zurück, wo sie sie weggenommen hatte — in ein Regal hinter einem Vorhang — und eilte fort; das Herz klopfte ihr im Hals, als eines der Hausmädchen im Schlaf etwas murmelte und sich unruhig auf dem schmalen Bett herumwälzte.
Darum bemüht, ihre Atemzüge zu mäßigen, beeilte sie sich etwas weniger, sobald sie den Westflügel verlassen hatte, huschte achtsam an den gewölbten Eingängen zu den Schlafkämmerchen vorüber; ihre Kammer, in der sie allein schlief, lag fast am östlichen Ende des Großen Speisesaals. Kori war ausgelaugt, Arme und Beine fühlten sich bleiern an, so als hingen sämtliche Ketten des Angeketteten Gottes an ihnen, die alten, abgewetzten Sandalen wogen in ihren Fingern wie Eisen.
Sie bog in ihre Schlafkammer ein, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, seufzte vor Erleichterung. Und blieb entsetzt stehen.
Auf dem Bett saß mit ernster Miene die Kindertante. »Setz dich, Kori. Dort.« Sie deutete aufs Fußende des Betts. Kori sah die Sandalen an, die an ihrer Hand baumelten. Sie bückte sich, stellte sie auf den Boden, richtete sich langsam auf. Rings um ihren Kopf schien alles zu verschwimmen, als sie auf dem Bett Platz nahm, so weit von der Kindertante entfernt, wie es sich machen ließ. »Spar dir die Ausrede, du wärst auf dem Abort gewesen, Kori. Ich sitze hier seit beinahe drei Stunden.« Kori rieb sich den Handrücken der Rechten, auf dem sich blaue Flecken ab zuzeichnen begannen, von Fingern verursachte Druckstellen. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte, sie durfte unmöglich jemandem etwas von der Seelentrinkerin und allem anderen erzählen, nicht einmal der Kindertante, aber ebensowenig hatte es Sinn zu lügen. Die Kindertante würde es sofort merken. Kori biß sich auf der Lippe herum, sagte nichts. »Bist du noch Jungfrau?«
Verblüfft blickte Kori hoch. »Was? Ja, natürlich. Darum ging's nicht.«
»Darf ich fragen, um was?«
Während sie die Hände rang, unruhig Beine und Füße bewegte, versuchte Kori zu entscheiden, was sie tun sollte. Noch durchwallte Ahzurdans Nebel das Viertel, aber das würde nicht mehr lange der Fall sein. »Du darfst danach aber nicht mehr darüber sprechen«, flüsterte Kori. »Nicht mit mir und erst recht nicht mit irgend jemand anderem. Gegenwärtig vermag er uns nicht zu belauschen, doch wird es nicht mehr lange so bleiben. Tre ist der nächste Priester. Ich habe etwas zu tun versucht, damit er nicht umgebracht wird. Aber was, das möchte ich nicht sagen, es ist besser, du weißt es nicht.«
»Ich verstehe. Vergib mir, Kori. Das ist eine sehr schwere Bürde für deine Schultern. Warum hast du sie mit niemandem geteilt?«
Rasch blickte Kori
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