Brans Reise
Skerg da sprach. Doch Visikal fuhr fort.
»Konnte der Geweihtragende nicht eine ihrer Schwestern überleben lassen? Denn sie hat geschworen, ihr Leben Cernunnos zu weihen, und kein Arer wird es je wagen, sie zu berühren. Sie haben Angst davor, sich dem, der das Geweih trägt, zu widersetzen.«
»Ich fürchte diesen Gott nicht, von dem du sprichst.« Bran fühlte sich jetzt, da er das Gewicht der Waffen in den Händen spürte, mutig genug, allen Göttern dieser Welt zu trotzen. »Er hat sich mir nie zu erkennen gegeben. Und Tir soll die meine werden.«
»Ich hoffe das.« Visikal fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Denn keine meiner Frauen hat es vermocht, mir Kinder zu schenken, und die Sitten verbieten es, mehr als drei Frauen zu nehmen. Das Blut meiner Ahnen kann nur durch Tir weitergeführt werden.«
Bran verstand mit einem Mal, warum es Visikal so leicht gefallen war, seine Antwort zu geben. Der alternde Mann hatte Angst davor, dass seine Familie ausstarb!
»Doch wenn ein Mann sie dazu bringen soll, ihr Versprechen zu brechen, dann nur ein Krieger.« Der Skerg trat ins Licht der Fackel. »Er muss sich als ein guter Kämpfer gezeigt und mir seine Treue erwiesen haben. Das ist meine Forderung.«
Visikal streckte ihm die geöffnete Hand entgegen. Bran legte die Waffen auf den Tisch und nahm den Helm ab.
»Du sollst an der Seite der Skerge stehen und Ars Feinde töten, als wenn es deine eigenen wären. Allen Reichtum, den du findest, sollst du dem Volk von Ar überlassen. Und aus deinen Wunden wird das Blut von Ar fließen. Also schwöre jetzt, Bran. Schwöre für Ar.«
»Für Ar.« Bran drückte seine Hand in die des Skergen. »Und für Tir.«
Das Abschiedsfest
T irgas Frauen waren Krieg gewohnt. »Hoffe, dass dein Mann alt stirbt im Kampf und dir viele Söhne hinterlässt«, war der Wunsch, den die Mütter an ihre Töchter weitergaben. Denn es war beinahe unehrenhaft, einen alternden Ehemann zu pflegen, und glücklich fühlten sich nur diejenigen, die von ihren Söhnen versorgt wurden, während sie selbst darauf warteten, ihre Geliebten an Cernunnos Seite im Reich auf der anderen Seite der Ebene wiederzusehen. Die Frauen, die an diesem letzten Tag vor der Abreise in Tirga erwachten, waren stolz und betäubten ihren Abschiedsschmerz, den sie bereits spürten, indem sie mit Cernunnos sprachen. »Lass ihn kämpfen und dir zu Ehren viele Köpfe nehmen«, beteten sie. »Aber nimm ihn mir noch nicht. Behüte ihn vor den Pfeilen der Vandarer, auf dass er einer derjenigen sei, die an Land gehen, wenn die Langschiffe zurückkehren!« So lauteten ihre Gebete, während sie Funken in den trockenen Tang schlugen und aus dem frischen Korn Brei kochten. Dann aßen sie, bereiteten das Essen für den schlafenden Ehemann und die Kinder vor und gingen nach draußen.
Als ein Zeichen guten Willens hatten die Händler die Bretter ihrer Buden am Kai übereinander gestapelt. Während der Dunst noch über dem Meer lag, bauten die Frauen daraus Tische zusammen. Sie zündeten große Feuer an, holten Fleisch und Korn aus den Türmen und rollten dicke Fässer durch die Straßen nach unten. Bald erwachte auch der Rest der Stadt, und die Männer schickten die Kinder zu den Frauen hinunter, während sie selbst sich bei ihren Tiledern versammelten, um Rüstungen und Waffen zugeteilt zu bekommen und um zu trinken und die neuesten Gerüchte auszutauschen. »Die Vandarer sind dieses Jahr stark«, wussten einige zu berichten. Andere schüttelten den Kopf und lachten, denn so etwas hörten sie jedes Mal, wenn sie in den Krieg zogen. So erhoben sie ihre Becher, priesen ihre Waffen und freuten sich auf das Fest.
So verging der Tag in Tirga. Die Sonne glitt langsam über den Himmel, während die Frauen Hirschkeulen und Schwertfische brieten. Sie schütteten Getreide in breite Schalen und mischten es mit Wasser und Honig, damit der Brei am Abend fertig war. Und sie lächelten ihre Kinder an, die an ihren Rockzipfeln zogen. »Ja«, antworteten die Mütter, »Vater bleibt lange fort. Aber er wird Geschenke mitbringen, wenn er zurückkommt.«
Bran hörte, dass sie redeten, doch er konnte die einzelnen Worte nicht auseinander halten. Den ganzen Tag über hatte er bei den Booten am Ende des Kais gesessen und gehofft, sie zu sehen, denn er wollte nicht noch einmal zu Visikals Burg hinaufgehen. Das erschien ihm nicht richtig. Er wollte mit dem Skerg erst wieder sprechen, wenn sie auf See waren. Visikal hatte gut zu ihm gesprochen, und Bran
Weitere Kostenlose Bücher