Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
Gepäckträger und hielt sich an mir fest. Dann ging es in sausender Fahrt nach Geilo hinunter. Lisbeth hatte mit allen Geschäftsleuten des Ortes dicke Freundschaft geschlossen. Sie hatte die Schwäche, gern in Läden zu gehen, und ich hatte die Schwäche, sie in Läden gehen zu lassen. Die Folge davon war. daß Schokolade und Obst für sie zu selbstverständlichen Bestandteilen des täglichen Speisezettels geworden waren. Sie wurde schrecklich verwöhnt und verzogen. Bisher hatte es ihr glücklicherweise nicht geschadet. Hinter ihrem veränderten Äußeren und ihrem neuen, unbefangenen Wesen war sie das gute kleine Ding geblieben, als das ich sie liebgewonnen hatte; und ich gewann sie von Tag zu Tag lieber.
Lisbeth holte Sahne von der Alm und studierte dort die Geheimnisse der Käsebereitung. Lisbeth pflückte Blumen, machte Besorgungen und holte die Post. Mindestens jeden zweiten Tag kam Nachricht von Georg. Er schrieb mit großen Druckbuchstaben, damit Lisbeth die Briefe selber lesen könne. Und am Abend schrieb Lisbeth an ihn. Anne-Grete erwies sich als vorzügliche Pädagogin. Im Laufe weniger Tage hatte sie Lisbeth so viel beigebracht, daß sie schreiben konnte: „liber Vater wir haben es gut und Steffi und ich rahdeln nach geilo ich krieche jeden Tag Schokolade wir haben zwei ziegen die heißen perle und graubein aber ich sene mich nach dir herzlichen grüß deine lisbeth.“
Wir hatten eine herrliche Zeit – Anne-Grete, Lisbeth und ich. Wir machten bald zu Fuß, bald mit dem Rad kleine Ausflüge, und jedesmal fragte Lisbeth, ob wir nicht bald mit dem Beerenpflücken beginnen würden. Ich erklärte ihr immer aufs neue, wir würden sicher Beeren pflücken, aber sie müsse sich noch einen Monat gedulden, bis die Beeren reif wären.
Lisbeth pflückte Beeren. Aber bis es soweit war, sollte noch vieles geschehen.
Wenn Lisbeth gewaschen und zu Bett gebracht war, hatten Anne-Grete und ich unsere Plauderstunde am Kamin. Oft sagten wir zueinander: „Nur hier in der Berghütte sind wir wirklich Menschen; in der Stadt haben wir keine Zeit dazu.“
In diesen Abendstunden öffneten sich unsere Herzen. Anne-Grete ist so klug und vernünftig und praktisch. Sie steht mit beiden Füßen auf der Erde. Das einfache, glückliche Heim, in dem sie aufgewachsen war, schenkte ihr die Gemütsruhe und das seelische Gleichgewicht, das meine ruhelose Kindheit mir nicht hatte geben können.
„Erzähle mir jetzt von Carl Lövold!“ sagte Anne-Grete eines Abends. Im Kamin brannte ein tüchtiges Feuer, und auf dem Tisch zwischen uns stand eine ansehnliche Schachtel mit Konfekt, die Carl mir geschenkt hatte. „Willst du ihn heiraten? Oder wie denkst du dir die Sache?“
„Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Seiner Scheidung scheint irgend etwas im Wege zu stehen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis es soweit ist. Er meinte, es wäre eine langwierige und verwickelte Angelegenheit.“
„Soso“, sagte Anne-Grete. „Das ist merkwürdig. Ich finde, offen gestanden, daß es bei den jetzt geltenden Gesetzen anständigen Menschen sehr leicht gemacht wird, sich scheiden zu lassen. Das geschieht auf eine so rücksichtsvolle und vornehme Art…“
„Ja – ich weiß nicht, woran es liegt“, sagte ich. „Soviel mir bekannt ist, lebt Carl schon ziemlich lange von seiner Frau getrennt. Vielleicht dreht es sich um Geld.“
„Puh!“ sagte Anne-Grete. „Kannst du dir etwas Ekelhafteres denken, als daß zwei Menschen, die zusammengelebt haben – zwei Menschen, die einer des anderen verborgenste Geheimnisse und kleinste Schwächen kennen – zwei Menschen, die vielleicht Kinder haben –, daß die sich eines Tages Rechtsanwälte auf den Hals hetzen und sich um Geld zanken? Puh! Ist das widerwärtig!“
„Aber liebe Anne-Grete! Ich ahne doch gar nicht, ob Geld bei Carl und seiner Frau überhaupt eine Rolle spielt!“ sagte ich. „Vielleicht stehen ganz andere Dinge der Scheidung im Wege.“
„Das ist natürlich möglich. Da er allem Anschein nach sehr reich ist, sollte man denken, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten kaum eine Rolle spielen können. Jaja, Steffi – es ist ja nicht meine Sache –, aber überlege dir, was du tust, bevor du ja sagst. Die Heirat ist immer eine Art Lotterie, und ganz besonders vorsichtig muß man sein, wenn der betreffende Mann schon einmal verheiratet war. Ist er mit der einen Ehe nicht fertig geworden, dann kann man kaum mit Sicherheit darauf rechnen, daß es ihm bei der zweiten besser
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