Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
ich. „Er weiß aller Wahrscheinlichkeit nach, daß er sterben muß. Seine kleine Tochter ist bei mir. Können Sie es nicht verstehen, daß er mit mir sprechen muß und daß nichts auf der Welt ihn daran hindern kann?“
„Ja“, sagte die Krankenschwester. „Aber der Doktor hat streng befohlen…“
„Lassen Sie mich nur mit ihm allein“, sagte ich. „Ich übernehme die Verantwortung.“
Blaß und mit hohlen Wangen lag Georg im Bett. Er versuchte zu lächeln, als ich in das Krankenzimmer trat.
„Ich danke dir, Steffi, daß du gekommen bist.“
Ich setzte mich an das Bett.
„Georg, du darfst nicht sprechen. Aber ich weiß, daß du mir etwas zu sagen hast. Flüstere nur ganz leise, damit du dich nicht überanstrengst!“
Er tastete nach meiner Hand. Ich drückte seine. Und dann begann er mir flüsternd zu sagen, was er auf dem Herzen hatte. Noch nie hatte ich ihn so ruhig, so entschlossen gesehen, noch, nie hatte ich ihn sich so einfach und ohne Umschweife ausdrücken hören wie jetzt, da er so leise flüsterte, daß ich mich aufs äußerste anstrengen mußte, um ihn zu verstehen.
„Ich weiß, daß ich sterben muß“, sagte Georg. „Ich habe schon seit langem gewußt, daß es so kommen würde. Aber ich hatte geglaubt, ich würde es noch etwas länger – ein paar Jahre noch – machen können. Steffi – willst du an Lisbeths Großmutter schreiben? – Du mußt meine Schlüssel an dich nehmen – In der Schatulle im Wohnzimmer findest du Lisbeths Sparkassenbuch – sie besitzt zweitausend Kronen – frage Lisbeths Großmutter, ob sie das Kind zu sich nehmen will – sie ist ja die Mutter von Lisbeths Mutter – – “ In Georgs unruhig flackernden Augen stand eine große Angst.
„Höre mich, Georg!“ sagte ich; und ich bemühte mich, ganz ruhig und schlicht zu sprechen, obwohl mir das Weinen im Halse saß. Ich hatte schon einmal an einem Sterbebett gesessen. An dem meines Vaters. Aber er war bewußtlos gewesen. Dies hier war etwas anderes, und irgendwie war es viel schlimmer.
„Georg, du brauchst keine Angst zu haben. Vergiß nicht, daß ich Lisbeth sehr liebhabe. Ich lasse sie nicht im Stich. Entweder bleibt sie bei mir, oder sie kommt zu ihrer Großmutter. Auf jeden Fall soll sie es gut haben, das verspreche ich dir. Ich werde sie nie aus den Augen verlieren, und solange ich gesund bin und arbeiten kann, soll es Lisbeth an nichts fehlen. Darauf gebe ich dir mein Wort, Georg.“
Zwei helle Tränen liefen Georg über die Wangen, und er drückte mir die Hand.
„Gott segne dich, Steffi!“ flüsterte er.
Da war es um meine Fassung geschehen. Ich weinte hemmungslos. Georg sagte nichts. Als ich mich endlich wieder soweit in der Gewalt hatte, daß ich aufblicken konnte, merkte ich, daß er still in seinem Bett lag und mich mit einem ruhigen, sanften, schönen Blick ansah.
„Du hast mir mehr Gutes erwiesen als irgendein anderer Mensch, Steffi“, flüsterte er. „Seit vielen Jahren war ich nicht so glücklich, wie ich es jetzt bin.“
Seine ganze Kraft war verbraucht. Er vermochte kaum noch zu flüstern. Ich stand leise auf und ging hinaus.
„Wie lange wird es noch dauern, Herr Doktor?“ fragte ich den Arzt.
„Vielleicht ein paar Tage noch. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie er mit einer so weit vorgeschrittenen Tuberkulose hat herumlaufen können. Er hatte über neununddreißig Grad Fieber. Im Geschäft bekam er einen Blutsturz und wurde hierhergebracht. Hat er noch andere Familienangehörige außer Ihnen?“
„Er hat eine kleine Tochter. Ich bin nur entfernt mit ihm verwandt. Darf ich morgen früh wiederkommen?“
„Ja. Kommen Sie nur.“
Ich sah die Krankenschwester in Georgs Zimmer gehen. Er hatte ständig jemand bei sich.
Zum Schlafen kam ich in dieser Nacht nicht viel. Ich nahm ein Taxi und fuhr zu Georgs Wohnung. Alles war unaufgeräumt und mit: Staub bedeckt. Auf dem Küchenherd stand gebrauchtes Eßgeschirr, und das Bett war nicht gemacht.
Ich brauchte die halbe Nacht dazu, um aufzuräumen und reinzumachen. Als ich damit fertig war, schloß ich die Schatulle auf, entnahm ihr Lisbeths Sparkassenbuch, ein Notizbuch mit Adressen und Abrechnungen, einen Briefumschlag mit Fotografien und ein paar andere Dinge, die ich nicht in fremde Hände gelangen lassen wollte.
Erst in den frühen Morgenstunden war ich in meiner eigenen leeren, ungemütlichen Wohnung. Ich legte mich ins Bett und schlief ein paar Stunden.
Um neun Uhr in der Frühe war ich wieder im Krankenhaus. Georg
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