Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
Mutter eines schulpflichtigen Kindes sah ich wohl doch zu jung aus.
Es waren viele Mütter versammelt. Alle hielten ein Kind an der Hand und waren feierlich gestimmt. Da gab es blasse, überanstrengt aussehende Mütter mit roten Arbeitshänden, elegante junge Frauen mit rot geschminkten Lippen und Silberfuchsumhängen, korrekte Damen in tadellos sitzenden Kleidern und mit tadellosen Schuhen, andere mit hohen Absätzen, seidenen Strümpfen und verwegenen Hüten – es waren sehr verschiedenartige Mütter, aber jede hielt ein aufgeregtes Kind an der Hand.
Lisbeth entdeckte ein kleines Mädchen, das sie kannte. Die beiden wechselten leise ein paar Worte miteinander. Dann kam Lisbeth wieder zu mir, drückte sich an mich und flüsterte:
„Steffi! Weißt du, was Titten mich gefragt hat? Sie hat mich gefragt, ob du meine Mutter wärst. Du hast aber eine hübsche Mutti, hat sie gesagt.“
„Und was hast du geantwortet?“
Lisbeth sah mich unsicher – beinahe etwas schuldbewußt an.
„Ich sagte bloß: ja. Macht das was?“
Ich drückte ihr die Hand.
„Nein, Lisbeth. Das macht nichts. Es war ganz richtig“, sagte ich.
Die nun folgende Zeit war für mich voller Überraschungen.
Nicht etwa, daß bedeutsame Dinge geschehen wären. Aber meine ganze Tageseinteilung geriet in Verwirrung. Eines Abends war ich lange aufgeblieben und hatte angestrengt gearbeitet. Natürlich war ich am nächsten Morgen todmüde und wollte gern etwas länger im Bett liegen.
Aber um halb acht wurde das Licht angeknipst, eine morgenfrische, helle Kinderstimme sagte „Guten Morgen, Steffi“, und dann hörte ich Erna und Lisbeth im Badezimmer vergnügt miteinander schwatzen und lachen. Und als Lisbeth von der Dusche kam und anfing, sich anzuziehen, da war ich richtig wach geworden. Ich klingelte nach Erna.
„Seien Sie so freundlich und bringen Sie mir eine Tasse Kaffee ans Bett, Erna“, sagte ich. „Ich bin todmüde.“
Lisbeth hielt mit dem Anziehen inne und sah mich an.
„Willst du denn nicht mit mir frühstücken, Steffi?“
„Ich bin so müde, Lisbeth. Kannst du nicht mit Erna frühstücken?“
„Do-o-och“, sagte Lisbeth. Dann blickte sie mich wieder an. Sie sah unwahrscheinlich süß aus in ihrem kleinen Höschen und mit ihrem nassen, wirren Haar.
„Du, Steffi! Wir könnten etwas von meinen eingemachten Blaubeeren zum Frühstücken nehmen.“
Konnte ich da liegenbleiben?
Ich saß zur gewohnten Zeit am Frühstückstisch. Lisbeth konnte mich leichter denn je um ihren kleinen Finger wickeln.
Das Telefon läutete.
„Wir warten mit Schmerzen auf die Korrekturen, Fräulein Sagen. Wie steht es damit? Wir möchten morgen früh mit dem Druck beginnen.“
„Sie erhalten die Korrekturen bis zehn Uhr. Genügt das?“
„Ja, wenn es sicher ist.“ Ich versprach es. Ich arbeitete eifrig. Dann kam Lisbeth von der Schule, und wir aßen zusammen. Erna steckte den Kopf durch die Tür und verabschiedete sich. Sie hatte heute ihren freien Tag.
„ Auf Wiedersehen, Erna.“ Ich blickte nur eine Sekunde auf und steckte die Nase sofort wieder in die Korrekturbogen.
Lisbeth las. An Lesestoff fehlte es ihr nicht, denn ich hatte im Laufe der Zeit eine ganze Menge Kinderbücher übersetzt. Jetzt, da sie die schwere Kunst des Lesens beherrschte, war sie unersättlich.
„Willst du nicht hinuntergehen und etwas spielen, Lisbeth?“
„Ich habe niemanden zum Spielen.“
„Aber du hast doch Frieda im vierten Stock! Ihr habt ja gestern so nett zusammen gespielt.“
„Wir haben Uns verzürnt. Du, Steffi, du hast doch versprochen, einmal mit mir nach Bygdö zu radeln.“
„Ja, Mäuschen. Aber nicht heute. Du siehst ja, wie ich in der Arbeit stecke.“
Als Lisbeth einen Augenblick ins „Badezimmer“ ging, wie sie sich gebildet ausdrückte, rief ich bei Anne-Grete an.
„Hast du viel zu tun?“
„Ist nicht schlimm. Ich habe mit Knut eine Verabredung um sechs, aber – “
„Würdest du mir einen großen Gefallen tun? Darf ich Lisbeth für eine Weile zu dir schicken? Ich habe keine Zeit, mich mit ihr zu beschäftigen. Ich habe einen Berg von Korrekturen – “
„Schicke sie nur ruhig her. Bis kurz vor sechs habe ich Zeit.“
Lisbeth trabte begeistert davon. Anne-Grete wohnte nur zehn Minuten entfernt, und Lisbeth kannte den Weg genau.
Die Zeit verging. Ehe ich mich dessen versah, war Lisbeth schon wieder da.
„Ich habe Hunger, Steffi!“
Hunger? Wenn ich eine eilige Arbeit vor mir hatte, dachte ich nicht ans Essen. An
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