Braut der Schatten
den Turm ins Schwanken brachte und die Balkontüren aufdrückte. Regen prasselte herein. Die Flammen in den Lüstern verloschen mit einem leisen Zischen. Der Wind schoss wie ein Tornado durch den ganzen Raum und wirbelte durchnässte Papiere und Kleidungsstücke aus Seide durch die Luft.
»Bist du bereit?«, fragte Morgana über den Lärm hinweg.
Die Luft war schwer von Magie. Bettinas Haut prickelte, und ihr Haar wehte im Wind. »Ich bin bereit!« Sie holte tief Luft …
Plötzlich erlosch das Licht in Morganas Hand. Der Wind erstarb, die Magie verschwand. »Weißt du was? Mir fällt gerade wieder ein, wie du an mir gezweifelt hast. Mir scheint, dieses Turnier ist im Endeffekt ganz wunderbar für dich verlaufen, aber du hast dich unaufhörlich über irgendwelche Kleinigkeiten beschwert, wie die unzähligen Toten. Mecker, mecker, mecker …«
»Morgana!«
»Wer ist deine allerliebste Patin? Wer ist die beste Zauberin der ganzen Mythenwelt? Sag es.«
Bettina verdrehte die Augen. »Morgana ist die beste Zauberin der ganzen Mythenwelt«, murmelte sie.
»Dann genieße es«, sagte ihre Patin besänftigt. Sie presste die Handfläche gegen Bettinas Stirn. Aus ihrer Hand schien ein Feuer zu entspringen. Der Wind heulte erneut auf.
Bettinas Körper verkrampfte sich, sie drückte den Rücken durch, ihre Gliedmaßen verdrehten sich. Doch Morgana hielt sie aufrecht und goss ihre Zauberkraft in sie hinein, als wäre sie ein leeres Gefäß.
»Ich bin gleich fertig, Sonderling. Gleich …«
Sie schwebte. Hitze wallte in ihr auf. Bettinas Muskeln waren so angespannt, dass sie fürchtete, sie würden zerreißen …
»So!« Morgana war fertig und ließ sie endlich los.
Bettina packte keuchend Morganas Schultern, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Ist sie wieder da? Bin ich wieder vollständig?
Salem lachte. »Das war verdammt großartig, meine Damen! Und merkwürdigerweise erregend. Wenn ich einen Körper hätte, hätte ich jetzt einen Steifen.«
Bernsteinfarbenes Licht leuchtete in Bettinas Handflächen. Die unerträgliche Leere, unter der sie gelitten hatte, war verschwunden. Ein Glücksgefühl blühte in ihr auf und manifestierte sich in magischen Wirbeln überall um sie herum. »Oh meine Götter! Sie ist …
wieder da!
« Sie schwankte kurz, ehe sie das Gleichgewicht wiederfand.
Vielleicht habe ich nun endlich meinen Halt im Leben gefunden?
»Betrachte dies als Hochzeitsgeschenk.« Morgana strich ihr Haar glatt. »So. Was wirst du heute Abend zu deiner Trauung anziehen?«
Obwohl Stunden vergangen waren, seit Morgana sie verlassen hatte, und das Unwetter längst abgeflaut war, war der Vampir immer noch nicht wieder aufgetaucht.
Selbst nachdem sich das Glück endlich zu ihren Gunsten gewendet hatte, machte Bettina sich immer noch Sorgen.
Nein, denk an etwas anderes. Zum Beispiel an deine Hochzeit!
Heute Abend würde sie nach dem Finale hierher zurückkehren und sich umkleiden, und dann würde Raum sie vor den versammelten Hofstaat geleiten.
Sie betrachtete das Brautkleid, das auf ihrem Bett ausgebreitet lag. Es war einmal Elearas gewesen. Der Rock bestand aus diversen Lagen Tüll, mit einem Überrock aus elfenbeinfarbener Seide und einer Schleppe. Dazu gab es passende Handschuhe. Das Oberteil war ein elegantes Bustier, geschmiedet aus Weißgold – was sonst?
Morgana hatte ihre Magie eingesetzt, um dem Ganzen den letzten Schliff zu geben und die Stoffe aufzufrischen. Dann hatte sie einen Tarnzauber über ihr Gesicht gelegt, um die Tränen zu verbergen, die ihr in die Augen gestiegen waren. Der Nachmittag war einfach wunderbar gewesen. Sogar Morgana hatte gesagt: »Ich glaube, wir sind uns gerade nähergekommen. Fühlt es sich so an, wenn man einem anderen näherkommt?«
Wieso war Bettina dann nur so voller Sorge? Warum hatte sich Dakiano noch nicht gemeldet? Scheiterte sein Plan womöglich in ebendiesem Moment? War Cas vielleicht doch nicht in Sicherheit?
Sie musste doch zumindest den Plan des Vampirs kennen, sodass sie Raum, der de facto der Schiedsrichter war, die Neuigkeiten mitteilen konnte.
Schließlich warf sie sich ihren Umhang über und wollte sich auf den Weg zu Dakianos Zelt machen. Dabei kam sie an Salem vorbei, der gerade in einer Zeitschrift las.
»Hey! Brauchst du’n Begleiter?«, fragte er.
»Mir geht’s gut«, sagte sie.
Glaub ich. Wir werden sehen.
»Davon geh ich aus, da du jetzt wieder die Königin der Herzen bist.«
Sie runzelte die Stirn. Cas nahm an, sie wäre mutiger, weil
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