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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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erzählen.«
    Leo nahm Fidelis am Halfter und folgte den beiden.
    Seltsamerweise wirkte Sebastiano über Nacht gealtert. Er ging schwerfälliger als gestern, sein Rücken war gebeugt, als drückte ihn eine unsichtbare Last nach unten. Zwischendrin blieb er immer wieder stehen, um Luft zu schöpfen. Vor der kleinen Kapelle ließ er sich ächzend niedersinken und begann etwas zu murmeln.
    »Er möchte, dass wir uns zu ihm setzen«, übersetzte Stella. »Damit wir lernen, Francesco besser zu verstehen.«
    Ihr Blick glitt zu der einfachen laubbedeckten Holzhütte, in der der Einsiedler lebte. Vor der Tür stand ein länglicher Korb, mit einem weißen Tuch bedeckt, unter dem ein Brot und ein Stück Schinken herausragten, beides unberührt, soweit sie erkennen konnte.
    Als hätte jemand die Gabe gerade erst dort abgestellt.
    Unwillkürlich erstarrte sie, weil ihr die ähnliche Szene bei den Carceri in den Sinn kam, und auch Leo, der in die gleiche Richtung schaute, erging es offenbar nicht anders.
    »Fragt ihn, woher dieser Korb stammt!«, forderte er Stella auf.
    Fra Sebastiano zuckte die Achseln.
    »Sie bringen immer mal wieder etwas zu ihm herauf, damit er genügend zu essen hat«, übersetzte Stella die Antwort. »Gläubige, Pilger, Leute aus Rieti. Manche kennt er, andere hat er noch nie zuvor gesehen. Aber manchmal vergessen sie ihn auch. Vor allem, wenn sie schon mal bei ihm gewesen sind und er ihnen eingeschärft hat, fester im Glauben zu werden. Er freut sich über alles, was man ihm
schenkt, darauf angewiesen jedoch ist er nicht. Sein Magen kann sich wie eine Schlange zusammenrollen und viele, viele Tage ohne Essen auskommen.«
    »Sagt ihm, dass er trotzdem besonders vorsichtig sein und nichts anrühren soll, von dem er nicht genau weiß, woher es stammt«, bat Leo. »Giorgio ist an vergiftetem Kuchen gestorben. Vor diesem Schicksal möchte ich ihn bewahren.«
    Der Einsiedler lachte nach Stellas eindringlicher Warnung.
    »Er fürchtet sich nicht, vor seinen Schöpfer zu treten«, sagte Stella. »Im Gegenteil, er freut sich schon darauf. Dann kann er endlich wieder mit Francesco und den anderen Gefährten zusammen sein.«
    Sebastianos Gesicht wurde wieder ernst.
    »Man hat Francesco oftmals den Spielmann Gottes genannt«, übersetzte Stella konzentriert, denn nun sprach der Einsiedler schneller und sichtlich bewegt. »Aber das war nur eine Seite seines Wesens. Sein Wort brannte wie Feuer – habt ihr das gewusst?«
    Beide schüttelten den Kopf.
    »Ich habe niemals einen besseren Prediger gehört. Die Menschen hingen an seinen Lippen, sogar die Vögel vergaßen davonzufliegen, so sehr beherrschte er diese Kunst. Der poverello wollte seine Kraft und Lebensfreude niemals einteilen oder aufsparen, sondern hat immer alles gegeben. Jeden einzelnen Augenblick. Dabei war ihm einerlei, ob man ihn auslachte oder sogar für verrückt hielt. Doch was er von sich selbst verlangte, das hat er auch von uns gefordert. Wir Mönche waren für ihn Apostel, nicht an die Enge eines Klosters gebunden, sondern frei, um uns in der Welt zu bewegen.«
    Der Alte begann heftig zu atmen. Erschöpfte ihn die
lange Rede allzu sehr? Leo und Stella sahen sich an. Offenbar hatten sie abermals Ähnliches gedacht.
    »Das Leben in der Gemeinschaft war nur ein Teil seiner Botschaft«, fuhr Sebastiano in Stellas Worten fort. »Wichtiger war ihm Gott als Quelle der Liebe. Dafür braucht der Gläubige Einsamkeit und Stille – und wie sehr hat Francesco sich immer wieder danach gesehnt!«
    Mit einem Stecken ritzte der Einsiedler das Zeichen des Kreuzes in die trockene Erde.
    »Die vier Einsiedeleien im Rieti-Tal sind kreuzförmig angeordnet, manche sagen auch wie ein τ. Der Querbalken umarmt die Welt, der Längsbalken streckt sich empor zu Gott. Wir vier Eremiten sind die Wächter dieses heiligen Symbols. Wir hüten Francesco und sein Mysterium.«
    Seine beiden Zuhörer schwiegen beeindruckt, so leidenschaftlich hatte der Eremit gesprochen. Doch er war noch nicht fertig. Seine Züge wirkten verzerrt, so sehr schien er innerlich mit sich zu ringen.
    »Wie oft wollte er einfach nur allein sein!«, übersetzte Stella. »Manchmal hat er sogar aus seinem Mantel ein kleines Zelt gebaut, um sich sogar von uns, seinen Gefährten, abzuschirmen, und wenn er, wie meistens, keinen Mantel hatte, dann hat er wenigstens mit dem Ärmel der Kutte sein Gesicht bedeckt. Immer wieder betete er, ohne die Lippen zu bewegen. Er war in ständigem Kontakt mit Gott – flehte

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