Braut von Assisi
ihm einen Augenblick.
»Das weißt du«, sagte er leise. »Und ich weiß es auch. Doch es darf nicht sein!«
»Warum nicht?« Stellas Stimme war nur noch ein Wispern. »Hat Gott, der Allmächtige, nicht vor allem die Liebe geschaffen, Leo?«
Aus ihrem Mund klang sein Name so weich, wie er ihn noch nie gehört hatte. Alles in ihm sehnte sich nach ihr – sie fest in die Arme zu schließen und niemals wieder loszulassen. Doch er blieb bewegungslos stehen.
»Ich habe verstanden«, sagte Stella nach einer langen, langen Weile. »Hätte ich noch Tränen, dann würde ich sie jetzt vergießen. Nie wieder werde ich dich belästigen, padre Leo. Darauf hast du mein Wort!« Damit ließ sie ihn stehen.
Leo stürzte in seine Kammer und verschloss die Tür von innen, als wäre ein ganzes Heer wütender Dämonen hinter ihm her. An Beten war jetzt nicht zu denken, es auch nur zu versuchen, wäre ihm als Sakrileg erschienen. Doch was
sonst sollte er tun? Er warf sich auf das schmale Lager, drückte den Kopf gegen das Laken und biss sich auf die Lippen.
»Denk an etwas, was dich anwidert!« So hatte der Ratschlag von Abt Christopher gelautet, dem in Leos frühen Klosterjahren die Erziehung der Novizen anvertraut gewesen war. »So ekelhaft und abscheulich wie möglich, und schon wird deine Lust auf der Stelle verflogen sein!«
Es hatte schon damals bei Leo nicht gewirkt und tat es nun umso weniger.
Er erhob sich wieder, setzte sich an den kleinen Tisch, nah genug an die Ölfunzel, um sehen zu können, und breitete seine Aufzeichnungen aus. Dazu war er hier! Das und nichts anderes hatte er zu leisten!
Auf einmal war es Leo, als stünde die schmale Gestalt von Johannes von Parma im Zimmer. Die dunklen Brauen, der schmale, oft schmerzlich verzogene Mund, der dichte schwarze Schopf, in den die Zeit mittlerweile gewiss silberne Fäden gezaubert hatte – wie sehr sehnte er sich nach der Anwesenheit dieses Mannes, der seit einigen Jahren der Gemeinschaft aller Franziskaner vorstand!
Eine Weile war diese Gefühlsaufwallung stark genug, um alle Gedanken an Stella zu verdrängen, doch als er von nebenan seltsame Laute zu hören glaubte, war alles wieder wie bisher.
Weinte sie? Und wenn ja – konnte und durfte er sie trösten?
Stella! Leo öffnete das Fenster und ließ die laue Sommerluft herein. Er richtete ihren Namen an die runde Scheibe des Mondes, den dunklen Himmel, den Duft der Nacht, die Tonziegel auf den Dächern, sogar an das Katerkonzert ganz in der Nähe. Seine Handflächen brannten, als hätte er sie in flüssiges Feuer getaucht. Noch wunder aber
fühlte sich sein Herz an, das er ihr nicht schenken durfte, obwohl alles in ihm danach schrie.
Irgendwann musste er eingeschlafen sein, am Tisch sitzend, die Arme auf dem harten Holz verschränkt, ein nicht gerade weiches Ruhekissen für seinen armen, verwirrten Kopf. Da schlug direkt neben ihm etwas ein.
Leo schrak hoch. Ein großer Stein lag neben ihm und hatte ihn knapp verfehlt. Einer von denen, die Sebastiano unter sich begraben hatten, wie er erkannte, als er das halb zerrissene Pergament ablöste, das jemand mit einem Strick um den Brocken gebunden hatte.
Puttana del monaco – vattene a casa!, las er. Mönchshure – geh nach Hause! Dafür reichten sogar seine mangelhaften Sprachkenntnisse aus.
Sie hatten sich offensichtlich im Fenster geirrt. Nicht ihm galt diese gefährliche Botschaft, sondern Stella.
Stella, die sich damit in echter Gefahr befand!
Es dauerte einen Augenblick, bis die ganze Tragweite dieser Erkenntnis in sein verschlafenes Bewusstsein drang, dann allerdings reagierte er prompt. Er stand auf, ging hinaus auf den Gang. Von unten waren noch die letzten grölenden Zecher zu hören, die nicht nach Hause fanden. Ob einer von ihnen den Stein geworfen hatte?
Leo öffnete behutsam die Tür zu Stellas Kammer.
Mondlicht flutete durch das geöffnete Fenster. Sie hatte das Laken abgestreift, das neben dem Bett zu Boden gefallen war, und lag auf dem Rücken, eine Hand auf den Brüsten, die andere neben dem nackten Körper ausgestreckt. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Sie atmete gleichmäßig.
Leo konnte seine Augen nicht mehr von ihr lassen. Die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte! Ihre Hüften, ihre Brüste, die Schenkel, das dunkle Dreieck, das seinen
Blick wie magisch anzog – alles genauso wie in seinem Traum!
Er wollte fliehen, doch er vermochte es nicht. Stattdessen blieb er wie ein Tor vor dem Bett stehen und starrte sie an.
»Leo?«
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