Braut von Assisi
konnte.
Die beiden Händler erwarteten sie bereits in der Gaststube.
»Packt Eure Sachen, Signorina Stella!«, rief Bartolomeo. »Padre Leo hat uns bereits über alles unterrichtet. Nach dem Frühstück können wir aufbrechen.«
»Können wir das?« Ihre Stimme war ruhig. »Ich bin bereit! «
»Das freut mich. Dann bringt das Gepäck am besten schon zum Wagen. Mein Sohn …«
»Nicht nötig«, fiel Stella ihm ins Wort.
»Was soll das heißen?« Zutiefst verblüfft starrte er sie an.
»Dass ich andere Pläne habe. Dank Euch schön für Euer Entgegenkommen, doch das ist leider nichts für mich.«
»Aber Ihr könnt doch nicht …«
»… eine Pilgerschaft zu einem heiligen Ort antreten, wie so viele andere vor mir? Das kann ich, werter Signore – und das werde ich!«
Drittes Buch
VERGEBUNG
Acht
E s war eine Flucht, und Leo wusste es. Doch nach dieser Nacht bei Stella zu bleiben erschien ihm unmöglich, auch wenn es ihm schier das Herz zerreißen wollte, sich auf diese Weise davonzustehlen. Wenigstens war er inzwischen auf dem Weg nach Süden, auf der gleichen Route, die damals auch Franziskus und seine Gefährten eingeschlagen hatten, um in Rom von Papst Innozenz III. ihre Gemeinschaft anerkennen zu lassen – allerdings war Leo nicht zu Fuß unterwegs, wie jene frommen Männer der ersten Stunde, sondern auf dem Rücken seiner treuen Stute.
Fidelis schien den Ritt über die Sabiner Berge zu genießen, obwohl es steil bergauf ging und der Boden unter ihren Hufen außergewöhnlich steinig war. Jetzt hätte das Pferd jene speziellen Stollen gut gebrauchen können, wie Leo sie bei anderen Reittieren in den Alpen gesehen hatte und die verhinderten, dass sie auf dem schmalen Säumerweg ausrutschten. Doch die Stute fand glücklicherweise jedes Mal rechtzeitig wieder Halt und konnte unverletzt weitertraben.
Während silbrig grüne Olivenhaine, später dann beim Überqueren des Höhenzugs dichte Eichen- und Buchenwälder an ihm vorbeizogen, wanderten Leos Gedanken zurück in jene enge Kammer.
Wie hatte er sich derart vergessen können?
Und wie konnte es sein, dass er sich gleichzeitig so erfüllt und glücklich gefühlt hatte? War er all die Jahre einer Täuschung erlegen? Hatte er die Anfechtungen des Fleisches gar nicht besiegt gehabt, wie er bislang angenommen hatte?
Das blutige Stroh der Bettstatt hatte eine unmissverständliche Sprache gesprochen. Stella, die er erst kürzlich vor den Grausamkeiten Carlos gerettet hatte, hatte in seinen Armen ihre Unschuld verloren. Aber es war weder Kampf noch Unterwerfung gewesen, sondern Hingabe, freiwillig und aus tiefstem Herzen, das hatte Leo gespürt. Wäre es trotz allem nicht an ihm gewesen, die Lust zu zügeln, anstatt sie immer weiter zu schüren – allein schon um ihretwillen?
Die ganze Nacht hatte er vergebens gegrübelt und keinen Schlaf gefunden, während sie so vertrauensvoll in seinen Armen schlummerte, als gäbe es nirgendwo einen sichereren Ort. Im Mondlicht hatte er ihr entspanntes Gesicht betrachtet und der Schlafenden stumm die Liebe gestanden, die er für sie nicht empfinden durfte. Erst beim Morgengrauen hatte er sich behutsam von ihr gelöst, um Vorkehrungen für ihre sichere Heimreise zu treffen.
Schon da hatte Leo begonnen, sie zu vermissen, und während der Verhandlung mit dem römischen Kaufmann Drudo immer wieder hinauf zum Fenster gespäht, in einer irrwitzigen Mischung aus Hoffnung und Angst, Stella könne sich dort zeigen und ihn von seinem Vorhaben abhalten. Doch nichts davon war geschehen. Ungestört konnte er in seine Kammer schleichen und mit zitternder Hand jene Zeilen schreiben, für die Stella ihn vermutlich zeitlebens hassen würde.
Seitdem fühlte er sich innerlich wund. Leo schämte sich, er haderte mit sich, er verwünschte sich – und holte
sich doch wie ein Süchtiger immer wieder jene unvergesslichen Stunden des Glücks ins Gedächtnis zurück.
Zum Bischof von Rieti hatte er in all seiner Zerrissenheit und Sehnsucht nach Vergebung nicht vordringen können, und er musste sich stattdessen Guilhelmos Hasstiraden auf seinen geliebten Orden anhören. Doch in der Ewigen Stadt, wo die beiden großen Apostel für ihren Glauben gestorben waren, würde er Hilfe und Läuterung erhalten, daran glaubte er ganz fest.
Innerlich gestärkt wollte er anschließend zurück nach Rieti, um dort zu vollenden, was durch den unerwarteten Tod von Padre Sebastiano unterbrochen worden war. Die Blutkarte steckte nach wie vor in seinem Beutel.
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