Braut von Assisi
als genug. Ich habe wenig Lust, mit ihnen an einem Tisch zu tafeln.«
»Meinst du vielleicht, ich?« Stellas Stimme klang belegt. »Kann mir schon denken, was sie sonst noch alles über mich sagen werden.«
»Ich denke, wir hätten vorsichtiger sein sollen«, erwiderte Leo, »und wären besser in unterschiedlichen Herbergen abgestiegen. Dann wäre dieses dumme Gerede vermutlich nicht aufgekommen.«
»Verlässt dich jetzt der Mut?« Ihre hellen Augen funkelten, und das halbe Lächeln, mit dem sie ihn ansah, war verunglückt. »Schon so schnell? Ich kann gern zu Fuß zurück
in die Stadt gehen, wenn du dich lieber nicht mehr öffentlich mit mir zeigen willst.«
»Das wollte ich doch damit nicht sagen! Aber ich mache mir Sorgen um dich, Stella. Eine junge Frau wie du gerät schnell in Verruf. Und du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir …«
»Welches Leben?«, fiel sie ihm ins Wort. »Meinst du damit vielleicht die Klosterhaft, die meine liebenden Zieheltern über mich verhängen wollten als Strafe dafür, dass mein ehemaliger Verlobter ein Bastard ist, was inzwischen die ganze Stadt weiß?« Ihre Lippen bebten. »Weißt du, wie Simonetta mich genannt hat, als sie mich einsperrte, anstatt mich an die Hochzeitstafel meiner geliebten Schwester zu bitten? ›Hurenbalg der allerschlimmsten Sorte‹.« Ihr Lachen klang bitter. »Was, wenn sie ausnahmsweise einmal die Wahrheit gesagt hätte? Dann träfen die Beschimpfungen dieser Leute womöglich ja doch ins Schwarze.«
Sie drehte sich um und ging schnell davon. Leo lief ihr nach und wollte sie aufhalten, doch sie schüttelte seine Hand ab.
»Lass mich! Ich werde zu Fuß nach Rieti zurückgehen«, beharrte sie. »Und wenn es bis nach Mitternacht dauert. Dann bin ich wenigstens müde genug, um gleich einzuschlafen, und gerate nicht wieder in Versuchung, die ganze Nacht wach zu liegen und mit offenen Augen von Dingen zu träumen, die niemals geschehen dürfen. Wir müssen alles vergessen, hast du neulich erst gesagt. Wie recht du doch mit allem hast, padre Leo!«
»Das kann und werde ich nicht zulassen«, protestierte er. »Du, mutterseelenallein unterwegs, wenn die Dunkelheit kommt!«
Stella trat einen Schritt auf ihn zu. »Meinst du, das wäre
neu für mich?«, flüsterte sie. »Jenes Gefühl umfassender Einsamkeit? Da freilich irrst du dich! Ich kenne es, seit ich denken kann. Vielleicht sogar seit meinem allerersten Atemzug.«
Wann der Streit genau begonnen hatte, ließ sich später gar nicht mehr genau feststellen. Schon in jenem Moment, als Leo Stella den Weg versperrt und sie damit quasi zum Aufsitzen gezwungen hatte? Während des Ritts nach Rieti, wo sie sich die ganze Zeit über so krampfhaft von ihm abgewendet hatte, dass es ihm wehtat? Oder erst bei der Ankunft in der Herberge?
Kaum abgestiegen, waren sie förmlich in zwei Händler hineingelaufen, Vater und Sohn, einer so rund und freundlich wie der andere. Sie kamen aus Rom und wollten weiter gen Norden reisen. Die gegenseitige Entschuldigung hatte Stella auf Leos Wunsch hin zähneknirschend übersetzt und dabei aus Versehen das Wort »Assisi« fallen lassen, ein Zwischenziel der beiden Fremden auf ihrer Fahrt nach Bologna.
»Warum schließt du dich ihnen nicht an?« Es war Leo einfach so herausgerutscht. »Sie könnten dich auf ihrem Wagen mitnehmen, und du wärst bei ihnen in Sicherheit.«
»Du willst mich loswerden?« Stella war aschfahl geworden, das erkannte er selbst in dem dämmrigen Flur, der zu ihren Kammern führte.
»Du hättest mir niemals folgen dürfen. Das weiß ich jetzt.«
»Ach ja?« Sie bemühte sich nicht einmal mehr, die Stimme zu senken. »Und was wäre dann aus dir geworden? Vielleicht lägst du ja längst begraben auf dem kleinen Friedhof von Montefalco!«
Sie wirkte so verletzt, dass Leo sich plötzlich schämte.
»Du hast so viel für mich getan«, sagte er rasch. »Mich gefunden, mich gerettet, für mich gehört und gesprochen …«
»Deine Zunge und dein Ohr«, unterbrach sie ihn. »So hast du mich einst genannt. Wie schön hat das für mich geklungen! Hast du alles schon vergessen?«
»Natürlich nicht! Und dennoch hätte ich deine Hilfe nicht annehmen dürfen, Stella. Uns beide trennen Welten. Ich bin ein Mönch, zu Armut, Gehorsam und Keuschheit verpflichtet, und du bist …«
»Ja?« Plötzlich stand sie so nah vor ihm, dass er ihren Atem auf der Haut spürte. »Was bin ich denn für dich?«
Unwillkürlich griff Leo nach ihrer Hand, und sie überließ sie
Weitere Kostenlose Bücher