Braut von Assisi
Ehe er nicht alle Einsiedeleien des heiligen Tales persönlich aufgesucht hatte, um hinter den Sinn dieser seltsamen Botschaft zu gelangen, die noch immer rätselhaft für ihn war, kam eine Rückkehr nach San Damiano nicht infrage.
Die ersten Stunden war Leo so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er seine Umgebung kaum mitbekam, weder die spielenden Kinder, die ihm in einem der Dörfer auf dem engen Weg gerade noch ausweichen konnten, noch die Frauen, die ihre Körbe absetzten und ihm mit offenem Mund hinterherstarrten, weil sich in ihren abgelegenen Ort sonst kaum ein Fremder verirrte, schon gar nicht ein berittener Mönch. Auch die Verfassung seiner Stute war bisher nicht in sein Bewusstsein gedrungen, doch auf einmal spürte er, dass etwas mit Fidelis nicht stimmte. Sie schnaubte, warf den Kopf zurück. Ihr Fell war schweißbedeckt und viel zu heiß.
Leo stieg ab und führte sie ein Stück am Zügel weiter, damit sie langsam abkühlen konnte. Da hörte er in einiger Entfernung das Rauschen eines Flusses. Genau das, was sie beide gerade am dringendsten brauchten!
Neben einer moosbewachsenen Holzbrücke machte er halt, führte die Stute bis ans Ufer und sattelte sie dort ab. Danach füllte er seine Wasserbeutel einige Male und goss ihren Inhalt über Fidelis aus, beginnend bei den Hufen und sich langsam nach oben arbeitend, während das Tier gierig aus dem Fluss trank. Um das Wasser wieder aus ihrem Fell zu bekommen, holte er den Schweißstriegel heraus und schabte sie sorgsam ab.
Jetzt konnte die Stute in Ruhe in der Sonne trocknen, und endlich war er an der Reihe. Was im belebten Rieti unmöglich gewesen war, das wagte Leo hier, da weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Er warf Kutte und Hose ab und stieg in den Fluss. Die Strömung war selbst jetzt, mitten im Sommer, erstaunlich stark und trieb ihn sofort ein gutes Stück ab. Er schwamm zurück, nicht ohne Mühe, hielt die Luft an und tauchte schließlich ganz unter, um sich danach erneut von den Wellen wegtragen zu lassen.
Er konnte nicht anders, als dabei seinen nackten Körper zu mustern, der ihm auf einmal so stark, so männlich, so ganz und gar fremd erschien. Was wusste er eigentlich über sich selbst? Von dem Mönch, der mit den besten Vorsätzen vom Ulmer Kloster aufgebrochen war, schien jedenfalls nicht mehr allzu viel übrig geblieben zu sein.
In Stellas Gegenwart schien die Zeit stillgestanden zu haben, und wann immer sie gelächelt oder geseufzt hatte, hatte sein Herz einen kleinen Sprung gemacht. Dann hatte er sich ein neues Leben gewünscht, ein Leben, das es jedoch für ihn nicht geben durfte. Und dennoch sehnte sich alles in ihm danach, erneut in die Nacht ihrer Augen einzutauchen.
Erfrischt kletterte er zurück ans Ufer und schlüpfte wieder in seine Kleider, was ihm mehr Sicherheit verlieh. Fidelis
war friedlich am Grasen. So legte er sich in die Sonne und begann erneut, mit offenen Augen von Stella zu träumen.
Wie weit sie mit dem römischen Kaufmannsduo inzwischen wohl schon gekommen war? Weinte sie noch? Oder war ihre Stimmung bereits in Zorn umgeschlagen? Was hätte er nicht alles dafür gegeben, sie wieder in seinen Armen zu halten!
Er musste eingeschlafen sein, denn als er wieder erwachte, standen eine Greisin und ein dunkelhaariges Mädchen vor ihm. Die Kleine trug einen Korb. Am linken Arm der Alten hing ein geflicktes Bündel, mit der Rechten stützte sie sich schwer auf einen Stock. Beide starrten ihn neugierig an.
»Hai fame, padre?« , lispelte das Mädchen schließlich und entblößte beim Lächeln eine Zahnlücke.
Und ob Leo hungrig war! Er nickte.
»Dove siamo?« , fragte er, um zu erfahren, wo er eigentlich war.
»Fara di Sabina« , lautete die Antwort. »Ecco – un po’ di formaggio e delle ciliege!«
Bevor er einen Einwand erheben konnte, lagen ein paar Kirschen und ein Stück Käse in seiner Bettelschale, die er zuvor im Fluss ausgewaschen und zum Trocknen neben sich gestellt hatte.
»Dominus vobiscum!« , sagte Leo und zeichnete dabei das Zeichen des Kreuzes in die Luft. »E molto grazie!«
Die beiden staksten davon.
Ein Lächeln flog über Leos Gesicht, während er mit Genuss die freundlichen Gaben verzehrte. Die Leute hier in den Bergen schienen reisende Franziskaner zu mögen.
Allerdings waren die Schatten inzwischen deutlich länger geworden, und es konnte nicht schaden, beizeiten nach
einem geeigneten Schlafplatz Ausschau zu halten. Nachdem er Fidelis gesattelt hatte und sie
Weitere Kostenlose Bücher