Braut von Assisi
ersten Schritte waren so mühsam wie bisher, doch nach einer Weile minderte sich der Schmerz, und sie konnte beinahe ihre vorherige Geschwindigkeit wiederaufnehmen.
Zum Glück kam ein Dorf in Sicht, das allerdings auf einer stattlichen Anhöhe lag. Dort würde sie sicherlich einen Brunnen finden, um ihren Durst zu stillen. Der Weg dorthin war freilich steil und um einiges langwieriger, als es von unten schien. Keuchend und schwitzend gelangte sie schließlich im Dorf an.
Konnte das bereits Greccio sein?
Die erste Frau, die ihr über den Weg lief, zerstörte diese Illusion. »Da musst du leider noch ein ganzes Stück weiter. Am Dorfende geht es wieder hinunter und dann erneut ein ganzes Stück steil bergauf. Was willst du dort? Verwandte hast du dort sicherlich keine, sonst hätte ich dich gewiss hier schon einmal gesehen.«
Stella machte eine Geste, die alles und nichts bedeuten konnte, und bemerkte sehr wohl die bohrenden Blicke der Frau, die vor allem ihrer Haube galten. Wie gut, dass sie trotz der Hitze die abgeschnittenen Haare darunter verborgen hatte!
»Ich bin eine Pilgerin und habe ein Gelübde abgelegt.« Je öfter sie es sagte, desto glaubwürdiger klang es in ihren eigenen Ohren. »Ich muss zur Einsiedelei. Ist das zu schaffen, bevor es dunkel wird?«
Die Frau gab ein Brummen von sich, das Stella als Zustimmung wertete.
»Und gewaltigen Durst habe ich auch. Wo kann ich …«
»Geradeaus. Dort steht unser Brunnen.«
Die längere Rast, die Stella dort hielt, war bitter notwendig gewesen, denn was nun vor ihr lag, verschlang all ihre Kräfte. Wie eine tückische Staubschlange wand der Pfad sich nach oben, und jedes Mal, wenn sie hoffte, das Ziel endlich erreicht zu haben, kam die nächste Biegung. Ein wenig half es, dass sie zum Teil durch einen Mischwald laufen konnte, dessen dichte Baumkronen die Sonnenstrahlen dämpften. Dafür umschwärmten sie hungrige Mückenschwärme, und sie war binnen Kurzem erneut von Stichen übersät.
Doch der Ausblick, als sie schließlich schweißüberströmt weiter oben angekommen war, entschädigte sie für alle Mühen. Unter ihr lag das heilige Tal in der Abendsonne, leuchtend und friedlich wie eine Oase des Glücks. Als sie emporblickte, sah sie einige schlichte Steingebäude direkt am Felsen kleben, wie ein Adlerhorst, schoss ihr sofort durch den Sinn.
Das hier glich eher einer Festung und besaß wahrlich keine Ähnlichkeit mit der beschaulichen Waldeinsamkeit von Fonte Colombo. Für einen Augenblick schwindelte
ihr, und die Vorstellung, noch weiter bergauf klettern zu müssen, machte ihr Angst. Dann aber überwand sie sich. Leo muss kommen, dachte sie, während sich durch die abgelaufenen Schuhsohlen spitze Steine in ihre Füße bohrten, die jetzt überall mit Blasen bedeckt waren.
Er wird kommen!
Eine Hoffnung, die Stella immer weiter vorantrieb, bis sie endlich ganz oben angelangt war. Sie ließ das Bündel sinken und atmete aus, um die Stille dieses Ortes in sich aufzunehmen. Eine leise Abendbrise brachte Kühlung. Endlich begann ihr Herz wieder langsamer zu schlagen.
Nicht weit entfernt entdeckte sie einen flachen Gesteinsbrocken, ließ sich darauf nieder, zog sich mit einem Seufzer der Erleichterung die Schuhe von den schmerzenden Füßen und genoss das Gefühl, nicht länger eingeengt zu sein.
»Was willst du hier?«, hörte sie nach einer Weile eine heisere Stimme neben sich.
»Mein Gelübde erfüllen«, kam es von ihren Lippen, noch bevor sie aufgeschaut hatte.
War das Padre Stefano?
Er entpuppte sich als der magerste Mönch, den sie jemals gesehen hatte! Die Kutte schlotterte um seine knochigen Glieder, die Arme waren dünn wie Stecken, die Beine, die unter dem zerschlissenen Stoff hervorschauten, zerschrammt und dunkelbraun. Sein schmales Gesicht mit den grauen Stoppeln wirkte müde. Harte Linien hatten sich in die Haut eingegraben; die Nase war scharf und erinnerte an einen Schnabel. Als er sich vorbeugte, um sie näher zu beäugen, entdeckte sie ein grob geschnitztes hölzernes τ, das er an einem langen Lederband um den Hals trug.
»Ausgerechnet hier?« Jetzt klang er offen missbilligend.
Stella nickte hastig und strengte sich an, ein gewinnendes Lächeln zustande zu bringen. Er durfte sie nicht wegschicken! Sie musste wenigstens so lange bleiben dürfen, bis Leo eintraf. Wie sonst sollte sie jemals wieder mit ihm zusammenkommen?
»Du bist die Erste seit langer Zeit, die sich hier heraufwagt«, sagte er schließlich. »Und eigentlich
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