Braut von Assisi
Stella. »Kommen die Schmerzen zurück?«
»Aih, Aih«, murmelte er. »Qualen ganz anderer Art! Ich glühe, ich brenne, mein ganzes Fleisch steht in Flammen.«
»Braucht Ihr mehr Wasser?« Besorgt beugte sie sich über ihn.
»Wasser, Wasser …«, stöhnte er.
Stella sprang auf, nahm den Krug und lief zum Brunnen, um ihn mit frischem Wasser zu füllen. Dort entdeckte sie noch einen zweiten Krug, den sie ebenfalls voll machte.
Als sie mit doppelter Last zurückkam, hatte der Eremit die Kutte nach oben geschoben und sich zu ihrem Entsetzen entblößt. Er war erregt, stark erregt sogar, das war unübersehbar, doch zu ihrem eigenen Erstaunen empfand sie eher Mitleid als Abscheu oder Angst.
»Bedeckt Euch, padre !«, verlangte sie. »Es steht mir nicht an, Euch so zu sehen.«
»Aih, du bist wiedergekommen, um mich erneut zu peinigen! «, rief er. »Die Stimmen, die Seufzer, das lüsterne Stöhnen, während wir anderen uns nebenan auf dem harten Stein martern mussten … Wie sehr ich euch beide gehasst und gleichzeitig beneidet habe! Bis heute habe ich jene Nächte der Finsternis nicht vergessen.«
Stella stupste ihn leicht mit dem Fuß an, doch er schien sie gar nicht zu bemerken.
»Diese Haare, die Brüste, die roten Lippen – ich habe dich sofort wiedererkannt. Doch du hast damals ihm gehört, nicht mir, und ich darf dich auch heute nicht besitzen. «
War der Eremit gerade dabei, den Verstand zu verlieren? Was um Himmels willen mochte sie ihm mit dem Kamillensud eingeflößt haben?
Stefanos Augen waren verdreht, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. Wo genau befand er sich? An einem Ort offenbar, zu dem Stella der Zugang verwehrt war.
Da er keinerlei Anstalten machte, sich zu bedecken, schüttete Stella kurzerhand einen tüchtigen Schwall kaltes Wasser auf seinen nackten Unterleib. Stefano schien wie aus einem tiefen Albtraum zu erwachen, starrte an sich hinunter, stutzte – und begriff.
»Warst du das?« Sein Kinn zitterte. »Hast du mich abermals versucht, wie Eva es einst mit Adam tat?«
»Keineswegs! Ich war nicht einmal in Eurer Nähe. Ihr habt nur schlecht geträumt«, sagte Stella so energisch wie möglich, während der Einsiedler endlich an seiner Kutte zupfte und sie zumindest bis zu den Knien zerrte. »Geht es Euch wieder besser?«
Stefano drehte den Kopf zur Seite. Kam die Übelkeit zurück?
»Ich weiß, dass du auf dieses Schreiben nicht antworten kannst«, hörte sie ihn murmeln. »Aber ich muss dir diese Zeilen schicken, denn mein Herz brennt vor Liebe, auch wenn ich weiß, dass wir uns niemals wieder so begegnen werden wie …«
Wovon redete er? Ging es um eine Geliebte, auf die er verzichten musste, um Mönch zu werden? Oder konnte er in sie, Stella, hineinschauen und erkennen, was gerade in ihr vorging?
Die Sehnsucht nach Leo ergriff mehr und mehr Besitz von ihr, bis kaum noch für etwas anderes Platz blieb. Wirst du auch einmal so enden, Geliebter?, dachte sie voller Traurigkeit. Als sabbernder Alter, der sich vor Schmerzen krümmt und nur noch unter Qualen an das zu denken vermag, was er einst versäumt hat?
Sie zögerte einen Augenblick, dann schmiegte sich ihre Hand an die Stoppelwange des Eremiten. Ilaria hatte stets danach verlangt, wenn sie krank gewesen war. Vielleicht würde es auch beim padre helfen.
»Ihr müsst jetzt schlafen«, sagte sie leise, als wäre er ein Kind und sie die Mutter. »Ganz schnell einschlafen und jedes Mal, wenn Ihr zwischendrin aufwacht, so viel trinken wie möglich. Dann wird alles gut.«
Zu ihrer Überraschung nickte Stefano und sah plötzlich ganz friedlich dabei aus.
»Und du gehst nicht weg?«
Hatte sie das nur geträumt, oder war es tatsächlich gerade aus seinem Mund gekommen?
»Ich bleibe bei Euch«, versprach Stella. »So lange, bis es wieder hell ist.«
Es war eine Mischung aus Bericht und Beichte, was Leo dem Ordensgeneral Johannes in der kargen Zelle des Abtes anvertraute, und er strengte sich an, nichts Wichtiges auszulassen. Vom Beginn seiner Reise erzählte er ihm, dem kräftezehrenden Aufstieg in den Alpen, bis zu jenem frisch verschneiten Pass, wo sein Gefährte und er plötzlich aus einem Hinterhalt überfallen worden waren.
Plötzlich begann seine Stimme zu flattern.
»Vier waren es, die uns umzingelt hatten, gehüllt in Wolfsfelle. Nein, eigentlich fünf, denn auf einmal kam noch ein weiterer Mann dazu, der sich bislang verborgen hatte. Ich wollte mit ihnen reden, aber sie taten, als würden sie mich nicht
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