Braut von Assisi
verstehen. Dann übermannten sie Andreas und drückten ihm die Luft ab, während sie seinen Wallach beiseiteführten, auf den sie es vermutlich von Anfang an abgesehen hatten. War Fidelis als Nächstes an der Reihe? Oder ich? Wut stieg in mir auf, so gleißend und wild, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Ich holte meinen Dolch heraus und …«
Leo verstummte und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Bis jetzt hört sich alles ganz richtig für mich an«, sagte Johannes. »Ihr seid angegriffen worden und habt euch verteidigt. Das war euer gutes Recht.«
»Aber wir trugen keinen Mönchshabit.« Leo ließ die Hände wieder sinken. »Weil ich auf den Rat des Abtes gehört hatte, obwohl ich innerlich wusste, dass es falsch war. Wer das Kleid des poverello trägt, der braucht sich vor nichts und niemandem zu verstecken – und dennoch habe ich es nicht getragen und dies auch von meinem Gefährten verlangt, was ihm den Tod gebracht hat. Denn als ich den Räubern entgegenschrie, dass wir fromme Brüder seien, haben sie nur gelacht – was mich noch wütender gemacht hat. Erst da haben sie damit begonnen, Andreas zu quälen und ihn zu schlagen, bis er schließlich …«
Leo wandte sich ab.
»Ich kann nicht«, murmelte er. »Ich bringe es einfach nicht über die Lippen!«
Johannes legte seine schmale Hand auf Leos Arm. »Manchmal ist die Seele zur Reue und Buße noch nicht bereit«, sagte er. »Hör auf, dich zu quälen! Irgendwann wirst du darüber reden können.«
»Damit fing alles an.« Leo schenkte ihm einen dankbaren Blick. »Ich fühlte mich aus der Bahn geworfen, auch noch nachdem ich mich im Trasimener See gereinigt hatte und wieder meine Kutte trug. Etwas hatte sich verändert. Beinahe, als ob mein früheres Leben plötzlich wieder die Arme nach mir ausstrecken würde. Ein Leben, in dem ich gekämpft hätte, eine schöne Frau gefreit und Kinder gezeugt. Ich hatte es beinahe schon vergessen, doch plötzlich war es wieder ganz präsent.«
»Und was geschah danach?«
Leo berichtete von seiner Ankunft in Assisi, dem Aussätzigen und der Unbekannten, die ihn in das Haus der
Lucarellis gebracht hatte. Als er schließlich Stella erstmals erwähnte, zitterte seine Stimme, doch Johannes schien keine Notiz davon zu nehmen.
Dann kam Leo zu seinem Besuch in San Damiano, zur toten Nonne, die außerhalb des Klosters gestorben war, und zur ersten Begegnung mit Madre Chiara.
»Welch schwierige Aufgabe du mir doch gestellt hast!«, sagte er seufzend. »Jemanden zu beurteilen, mit dem ich mich kaum verständigen kann. Hättest du denn keinen Kundigeren finden können?«
»Hattest du nicht erwähnt, dass deine Mutter Italienisch gesprochen hat?«
»Ja, aber nur in den ersten Jahren. Sie hat es bleiben lassen, weil es meinen Vater ärgerlich machte. Und leider hab ich viel zu viel davon vergessen.«
Johannes hatte sich erhoben, doch noch im Stehen war er ein kleiner, zierlicher Mann.
»Was sind schon Worte?«, sagte er, während er zum Fenster ging. »Sie können lügen und täuschen, sie lassen sich verdrehen und missbrauchen, auch wenn sie auf Pergament gebannt sind. Francesco hat das gewusst und alles Geschriebene aus tiefstem Herzen verachtet. Denn was hinter den Wörtern steht – das ist das Eigentliche. Du kannst es erspüren, Leo. Du kannst es erfühlen. Du weißt, was du siehst. Daher warst und bist du würdig und kundig in meinen Augen. Der perfekte Visitator!«
»Ich habe mir die allergrößte Mühe gegeben, doch der Tod von Suor Magdalena …«
Johannes hatte sich plötzlich zu ihm umgewandt. Im flackernden Licht der Kerzen war sein Gesicht wie erstarrt.
»Ist das der Name der Toten?«, fragte er. »Magdalena?«
Leo nickte.
»Du bist ganz sicher?«
»Ja, natürlich … Hast du sie gekannt?«
Johannes drehte ihm den Rücken zu. »Ich dachte, sie hätte längst ihren Frieden gefunden«, murmelte er. »So sehr hatte ich es für sie gehofft! Dass sie jetzt auf diese Weise aus dem Leben scheiden musste …«
»Ich glaube nicht an Selbstmord«, sagte Leo heftig. »Schon vom ersten Augenblick an, als ich an ihrer Bahre stand, hat sich alles in mir gegen diese Vermutung gesträubt. Man hat sie umgebracht. Mittlerweile bin ich ganz sicher. Aber weshalb? Und wer ist ihr Mörder?«
Johannes wandte sich wieder Leo zu. Sein Gesicht war ruhig, nur um die Lippen lag ein energischer Zug. »Hättest du diesen Fragen nicht viel gründlicher in Assisi nachgehen können?«
»Das wollte ich ja!«, rief Leo. »Doch
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