Braut von Assisi
wurde sie wieder ernst.
»Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«, fragte sie.
»Nein.« Leo schüttelte den Kopf. »Aber es muss etwas geben. Mein Nacken hat gejuckt, als hätte ihn eine ganze Schar Flöhe heimgesucht. Ich kann mich eigentlich immer auf ihn verlassen.«
»Padre Stefano verbirgt etwas, das spüre ich auch. Aber weshalb?«
»Das werde ich herausfinden.« Leo bemühte sich, zuversichtlich zu klingen, obwohl es ihm nicht leichtfiel. »Aber du musst mir versprechen, dass du nach Assisi …«
»Nein!« Sie war laut geworden. »Hör endlich damit auf, mich fortzuschicken! Du brauchst mich, Leo! Wann wirst du das endlich einsehen?«
»Meinst du, das wüsste ich nicht längst?«
Ihr Atem dicht an seiner Haut. Erst da ergriff er ihre Hand, und Stella überließ sie ihm.
»Von mir aus könnte es immer so bleiben«, murmelte sie. »Bis ans Ende aller Zeiten.«
»Du weißt, dass das nicht möglich ist. Ich habe ein Gelübde abgelegt, Stella. Ich darf keiner Frau gehören. Ich gehöre Gott.«
Sie zog ihre Hand zurück. Trotz der lauen Sommernacht fröstelte Leo plötzlich. Dann jedoch spürte er ihre weichen Finger im Nacken. Langsam, ganz behutsam zog sie ihn zu sich herab, bis ihre Lippen sich berührten. Dieser Kuss war anders als all die Küsse, die sie bislang schon getauscht hatten. Er war voller Zartheit und Hingabe, so innig vertraut, als kennten sie sich schon seit langer, langer Zeit. Keiner wollte sich mehr von dem anderen lösen, und beide versuchten, alle Ewigkeit in diesen einen kostbaren Augenblick zu packen.
Irgendwann spürte Leo, dass Stella weinte. Und auch seine Augen waren feucht geworden.
»Es fühlt sich so richtig an«, flüsterte sie. »Es kann doch nicht falsch sein, wenn es sich so richtig anfühlt!«
»Seine Versprechen muss man halten, Liebste. Gelübde erst recht. Auch …«
»… wenn man erkannt hat, dass sie nicht mehr gültig sind, weil man sie nicht länger leben will?« Ihre Stimme klang bitter. »Was soll daran richtig sein?«
Erneut beugte Leo sich zu ihr hinunter, doch bevor sein Mund sie berühren konnte, wurde er grob nach hinten gerissen.
»Pazzi! Che fate? La stessa cosa proibita che hanno fatto altri in passato!«
Padre Stefano schien vor Wut zu bersten.
»Sag ihm, dass er sich irrt!«, rief Leo. »Er hat alles missverstanden …«
Doch Stella weigerte sich zu sprechen, saß einfach da mit angezogenen Knien und weinte leise.
»Andate via – tutti e due!« Die Stimme des Eremiten klang schrill durch die Nacht. Er hob sein Knie, als wolle er Stella einen Tritt versetzen, schien sich dann aber gerade noch zu zügeln. »Non voglio fare lo stesso sbaglio due volte! È chiaro che siete disperati.«
»Er wirft uns raus«, murmelte Stella, noch immer unter Tränen. »Er will den gleichen Fehler kein zweites Mal begehen. Wir hätten das Gleiche getan wie irgendwelche Verrückten zuvor, das kann er nicht dulden. Sobald es hell geworden ist, müssen wir von hier verschwunden sein.«
»Ich bringe dich zu deiner Hütte.« Leo wollte ihr aufhelfen, sie aber wich vor ihm zurück.
»Lass mich!«, sagte sie. »Ich werde lernen müssen, allein zu gehen, so schwer es mir auch fallen mag.«
Nach wenigen Schritten hatte die Dunkelheit sie verschluckt.
Leo drehte sich zu Stefano um, doch auch der Eremit war bereits verschwunden. Ins Kloster zurück konnte und wollte Leo nicht mehr, so ließ er sich auf den Boden sinken, der noch immer die Wärme des Tages gespeichert hatte. Er faltete seine Hände und begann voller Inbrunst zu beten.
Den Weg zurück nach Rieti legten sie am anderen Morgen schweigend zurück. Padre Stefano hatte sich nicht mehr blicken lassen, als scheue er jede weitere Begegnung, und doch waren sie sich sicher gewesen, dass er ihr Tun vom Kloster aus genau beobachtet hatte. Das Gefühl war merkwürdig gewesen, beinahe, als ob ein unsichtbarer Feind sie ausspähte. Eigentlich etwas, das sie hätte verbinden können – und doch stand eine trennende Mauer zwischen ihnen. Keiner von beiden wusste, was er sagen sollte, weder Stella, die in trotziger Trauer versunken war, noch Leo, der sich innerlich zerrissener fühlte denn je.
Irgendwann überwand er sich. »In Rieti suche ich dir eine gute Herberge«, sagte er. »Fernab von den neugierigen Blicken jener Antonella, die nichts als Unsinn schwätzt. Von dort aus müssen wir dann zügig deine Heimreise in die Wege leiten. Ich kann es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, dass du noch
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