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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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die Tote es getan«, beharrte Leo. In seinem Nacken begann es zu kribbeln, wie immer, wenn er auf der richtigen Spur war. In seinem Gedächtnis kramte er nach jenem Satz, der ihn gestern hatte aufhorchen lassen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er bekam ihn nicht zu fassen. »Wenn Magdalena so unschuldig und fromm war, wie du gesagt hast, muss es dafür einen triftigen Grund gegeben haben. Nach ihm sollten wir suchen, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen.«
    Die Kranke gab ein scharfes Ächzen von sich und stieß anschließend weitere hastige Worte hervor.
    »Magdalena kann nicht der Anlass deines Kommens sein.« Suor Regula klang bemüht sachlich. »Denn als du deine Heimat verlassen hast, war unsere geliebte Mitschwester ja noch am Leben. Was also, will Madre Chiara wissen, führt dich zu uns, Fra Leo?«
    »Die Liebe zur Wahrheit«, erwiderte er prompt. »Für mich ist sie ebenso groß und tief wie meine Liebe zur Armut.«
    Aus den dunklen Augen der Äbtissin rannen auf einmal Tränen, aber Chiara unternahm keinerlei Anstalten, sie wegzuwischen. Der Mund der Äbtissin bewegte sich wie im Fieber. Auch die Dolmetscherin schien plötzlich zutiefst ergriffen.
    »Den armen Christus umfange!«, sagte sie. »Das lässt unsere geliebte abatissa dir sagen. Schau auf Ihn, der auf sich genommen hat, um deinetwillen verachtet zu werden, und folge Ihm nach als einer, der in der Welt verachtet worden ist um Seinetwillen.«

    Chiara hatte wahrlich nicht lange gebraucht, um auf den Punkt zu kommen!
    Wahrscheinlich wusste sie längst, dass mit Leo erneut ein Visitator unterwegs war, der sie weiteren Prüfungen unterziehen würde. Denn die Äbtissin von San Damiano, einst engste Vertraute des heiligen Franziskus, strebte seit vielen Jahren eine eigene Ordensregel an, die auf vollkommener Armut basierte. Nichts und niemand schien sie davon abbringen zu können. Mit Innozenz IV. musste sich mittlerweile bereits der dritte Nachfolger Petri auf dem Heiligen Stuhl in Rom mit ihrem Ansinnen auseinandersetzen, das viele hohe geistliche Würdenträger in seiner Umgebung als unangemessen, ja geradezu unverschämt beurteilten.
    Denn noch nie hatte die katholische Kirche einem Weib ein derartiges Privileg gewährt. Man hatte Chiara über Jahrzehnte erfolgreich hingehalten. Doch nun, da sie alt geworden war und ihr Ende nahte, ließ die Entscheidung sich nicht unbegrenzt weiter aufschieben. Nach vielen fähigen Männern vor ihm, die offenbar zu keinem rechten Schluss gekommen waren, hatte man nun Leo diese Aufgabe übertragen. Dafür jedoch war es notwendig, in seinem Bericht alle Vorkommnisse im Kloster festzuhalten – erst recht so dramatische wie Selbstmord oder gar Mord.
    »So spricht die Wahrheit selbst« , konterte Leo mit den Worten aus dem Johannesevangelium, weil er wusste, dass viele der Minoriten allem Geschriebenen gegenüber kritisch eingestellt waren. »Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben, denn wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.«
    Chiara murmelte vor sich hin wie bisher, doch ihre Augen sprühten Blitze.
    »Madre Chiara ist nur ein unwissendes Weib«, übersetzte Suor Regula dünnlippig, »das sich …«

    »… in ihren Briefen an Agnes von Prag äußerst scharfsinnig und belesen über diverse Glaubensangelegenheiten ausgelassen hat. Der Schriftwechsel ist mir geläufig. Und ich weiß auch, aus welch nobler Familie Chiara di Offreduccio stammt und welch umfassende Erziehung sie genossen hat.«
    Leo wandte sich an die Kranke, als sei die Übersetzerin gar nicht mehr im Raum.
    »Ich brauche deine Hilfe, madre «, sagte er eindringlich. »Du allein kannst Licht ins Dunkel bringen. Der Tod von Suor Magdalena muss aufgeklärt werden, bevor ich mich mit deinem Wunsch nach einer eigenen Ordensregel beschäftigen kann. Ich bin kein Gegner oder Feind, wie du vielleicht glauben magst, sondern ein Freund und Unterstützer. Bediene dich meiner, vertraue mir – es wird dein Schaden nicht sein!«
    Regula dolmetschte halblaut.
    »Vor allem möchte ich die Tote noch einmal sehen«, setzte Leo insistierend hinzu. »Am besten sofort.«
    Chiara lag regungslos da, das Gesicht eine wächserne Maske, die Augen geschlossen. War die Anstrengung zu groß für sie gewesen? Es war so still in der Kammer, dass Leo der eigene Herzschlag mit einem Mal überlaut erschien.
    Plötzlich ein sattes Plopp.
    Die Graue war mit einem eleganten Satz auf die magere Brust der Äbtissin gesprungen,

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