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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sein. Der Wind blies stärker, fegte einen abgerissenen Zweig über das Pflaster. Lauerte die böse Macht erneut auf sie?
    »Aber ich habe doch so viele Fragen«, hörte Stella sich
flüstern. War das wirklich ihre eigene Stimme, so ängstlich und klein?
    »Nur wenn du es zulässt, kann ich es versuchen.«
    Die Frau griff nach Stellas linker Hand, drehte sie um, berührte sie sanft. Sie hielt sie eine ganze Weile, dann entrang sich ihrer Brust ein tiefer Seufzer.
    »Ich sehe Sonne und Mond«, sagte sie leise, aber es klang plötzlich, als redete die Frau nicht selbst, sondern als spreche eine andere Stimme durch ihren Mund. »Beides trägst du in dir. Eine Liebe für die Ewigkeit, doch zu tief und zu schwer für ein kurzes menschliches Leben …« Die Handleserin sackte kraftlos in sich zusammen.
    »Was hast du?«, rief Stella und zog erschrocken ihre Hand zurück. »Bist du krank? Was ist auf einmal mit dir?«
    Die Frau schrak hoch wie aus tiefen Träumen, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könnte sie damit etwas wegwischen, und lächelte unbestimmt.
    »Du musst mutig sein, Kleine!«, sagte sie langsam. »Sehr, sehr mutig. Denn alles wird sich verändern. Schon sehr bald.« Danach erhob sie sich steifbeinig, faltete den kleinen Hocker zusammen und klemmte ihn unter den Arm.
    »Aber du kannst mich doch jetzt nicht so zurücklassen! «, rief Stella und packte sie am Arm. »Was genau wolltest du mir sagen? Ich hab gar nichts verstanden!«
    »Du wirst die Liebe finden und wieder verlieren, wenn du nicht sehr vorsichtig bist«, murmelte die Frau. »Folge ihr, halt sie fest und kämpfe um sie – und du wirst sehend werden. Und jetzt lass mich gehen! Den Rest musst du allein vollbringen.«
    Stella stolperte davon. Jetzt spürte sie sie wieder, die feindseligen Blicke hinter den geschlossenen Läden, die sich in ihren Rücken zu bohren schienen wie tödliche Pfeile.
Sie wollte nur noch eins: so schnell wie möglich sicher und geschützt nach Hause.
    Doch nach Hause – wo genau war das?

    Die Enttäuschung holte Leo ein, kaum war er ein Stück weiter bergab geritten. Die Schwestern von San Damiano nahmen ihn nicht ernst, vielleicht machten sie sich sogar über ihn lustig. Wie sonst hätten sie es wagen können, Suor Magdalena heimlich zu begraben?
    Nun gab es keine Möglichkeit mehr für ihn, sie nochmals genau zu inspizieren, um ihrer Todesursache auf die Spur zu kommen. Alles, was ihm blieb, waren ein paar flüchtige Momente in einem dunklen Kellerverlies, die Tintenspuren an den Händen der Toten, die graue Katze, die ihr »Kind« gewesen sein sollte – und jene seltsame Stimme, die ihn zu den carceri führen wollte.
    Sein Kopfschmerz war wieder stärker geworden. Ob er sich doch innerliche Verletzungen zugezogen hatte, die ihn eine längere Zeit beeinträchtigen würden? Dabei brauchte er doch gerade jetzt mehr denn je einen scharfen Verstand und ein sicheres Auge, um sich nicht weiter in die Irre führen zu lassen.
    Zunächst war er versucht, die Stute zu wenden und zurück in die Stadt zu reiten, wo ein helles Zimmer und ein bequemes Bett auf ihn warteten. Vasco Lucarelli hatte ihm versichert, dass er so lange bleiben könne, wie er wolle, und sein Blick war dabei so warm gewesen, dass Leo ihm glaubte. Und dennoch gab es etwas in diesem gastfreundlichen Haus, das ihn irritierte, auch wenn er noch nicht sagen konnte, was genau es war. Die freundlichen, zuvorkommenden Eltern, die beiden reizenden Töchter – auf den
ersten Blick reinste Harmonie, der er jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht ganz zu trauen vermochte. Es war nicht viel mehr als ein Gefühl, doch Leo hatte gelernt, sich auf seine Gefühle zu verlassen, die ihn schon oft zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt hatten.
    Vielleicht gab er deshalb Fidelis nach, die unvermittelt nach links strebte, obwohl er eigentlich lieber nach rechts geritten wäre, und als die Mauern zwischen den Steineichen auftauchten, wusste er, wohin sie ihn geführt hatte – zum Portiuncula-Kirchlein.
    Leo stieg ab, ließ die Stute grasen, die sich hier wie zu Hause zu fühlen schien, und ging in die kleine Kirche. Obwohl er dieses Mal auf Schmutz und Verrottung eingestellt war, präsentierte sich zu seiner Verblüffung der Innenraum verändert. Keine Spur mehr von Zweigen oder Vogelkot. Alles war sauber, der Boden gefegt, auf dem Altarstein lag eine frische Decke mit kleinen Stickereien; davor brannten in einem schmiedeeisernen Leuchter drei dicke weiße

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