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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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gesehen?«
    Achselzucken. Ein knapper Satz.
    »Vor vielen, vielen Jahren. Ich glaube fast, er möchte nicht darüber reden«, übersetzte Stella.
    »Und wenn ich ihn sehr herzlich darum bitte?«, fragte Leo langsam.
    Sie übersetzte.
    Keinerlei Reaktion.
    Er hatte es falsch angefangen – oder er war der Wahrheit näher als gedacht. Er musste einen neuerlichen Versuch unternehmen.
    »In San Damiano gab es eine Tote«, sagte Leo. »Una sorella morta. Tre giorni fa.«
    Giorgio nickte und deutete auf sich. Was nun aus seinem Mund kam, klang betrübt.
    »Dann wird er sie hoffentlich bald im Himmel wiedersehen«, dolmetschte Stella. »Denn auch seine Tage sind gezählt. Seine Brust ist krank. Ich denke, er meint damit die Lunge. Kein Wunder, wenn er hier in dieser Einsiedelei lebt! Schon im letzten Winter, als der lange kalte Regen einsetzte, war der Tod jede Nacht bei ihm. Doch seit es wieder wärmer geworden ist, hat der Schnitter sich offenbar nicht mehr blicken lassen.«
    »Stattdessen hat er vor drei Tagen Schwester Magdalena geholt«, sagte Leo langsam.
    Das faltige Gesicht schien regelrecht zu zerfließen. »È morta?« , krächzte der Mönch. »Ma come?«
    »Du hast sie gekannt?« Jetzt ließ Leo ihn nicht mehr aus den Augen. »Seit wann?«
    Stella übersetzte hastig.
    »No. Sì.« Die mageren Schultern sanken zusammen.
    »Ja oder nein?«, fragte Leo. »Was ist denn nun richtig?«
    Wieder ein aufgelöster Redeschwall.

    »Er hat von ihr gehört, sie selber aber niemals gesehen. Die ganze Stadt kennt Magdalenas Geschichte«, sagte Stella. »Eines Tages hat man sie an der Pforte von San Damiano gefunden. Da war sie gerade mal einen Tag alt. Welche Mutter kann ihr Neugeborenes so grausam aussetzen? Ich kann solche Frauen ohne Herz nicht verstehen.«
    Sie fuhr mit der Hand zu ihrem Hals, als würde sie sich erst jetzt wieder an die schmerzhaften Stiche erinnern, doch Leos große warme Hand legte sich im gleichen Moment so sanft auf ihre Schulter, als habe sich dort ein Vogel niedergelassen – und Stella vergaß, sich zu kratzen.
    »Die meisten bringt pure Verzweiflung dazu«, sagte Leo. »Wenn die Männer sie verlassen haben oder ihre eigene Familie sie verstößt, dann haben sie keine Kraft mehr, ihr Kleines zu lieben. In manchen Städten gibt es Einrichtungen, die sich solcher Waisen annehmen. Gibt es keine, ist eine Klosterpforte sicherlich eine der besten Lösungen.«
    Er wandte sich dem Mönch zu. »Und seitdem hat Magdalena im Kloster gelebt?«, fragte er.
    »Penso di sì.«
    »Meines Wissens, ja« – auch das wieder keine eindeutige Antwort.
    Er kam nicht weiter, jedenfalls nicht so. Nach Verwandten Magdalenas zu fragen, erübrigte sich eigentlich, sonst wäre sie ja wohl kaum als Säugling ins Kloster gekommen und auch dort gestorben. Dennoch tat er es.
    Kaum hatte Stella übersetzt, erhob Giorgio sich überraschend schnell.
    »Er sagt, er muss jetzt dringend zu seiner Andacht«, übersetzte Stella. »Das Kirchlein wartet schon auf ihn.«
    Leo schaute prüfend zum Himmel. »Für das Stundengebet erscheint es mir noch ein Weilchen zu früh …«

    Der Mönch schien auf Stellas Übertragung hin ärgerlich zu werden und stampfte plötzlich sogar auf.
    »Er hat hier oben seine eigenen Zeiten«, sagte Stella. »Und die gehören einzig und allein Francesco – und dem lieben Gott. Ich glaube, jetzt habt Ihr ihn verletzt.«
    Als Giorgio wortlos davonstapfte, legte sich plötzlich ein eiserner Ring um Leos Herz. Er hatte so gut wie nichts erfahren, nichts jedenfalls, das sich halbwegs bei seiner Nachforschung verwenden ließ.
    War seine einzige Chance damit vertan?
    »Warte!«, rief er und sprang dem Mönch hinterher.
    Weil der trotz seines Rufens nicht stehen bleiben wollte, packte er ihn fast rau am Ärmel und hielt ihn fest.
    »Voglio ritornare« , stieß Leo hervor. »Domani. È molto importante! «
    Ich will wiederkommen. Morgen. Es ist sehr wichtig – in seinem Kauderwelsch musste er sich wie ein ausgemachter Idiot anhören!
    Zu seiner Überraschung begann Giorgio wieder zu lächeln.
    »Certo« , sagte er. »Perché no? Ma senza di lei. Le donne sono periculose, sai? Vieni solo, capito?« Damit verschwand er in der kleinen Kirche.
    »Was hat er gesagt?«, wollte Stella wissen, die Leo erwartungsvoll entgegensah, als er zurückkehrte.
    »Nichts«, sagte Leo und erschrak im gleichen Augenblick über seine Lüge. Just in diesem Augenblick entschloss er sich, beim zweiten Mal tatsächlich allein zu kommen,

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