Braut von Assisi
zusätzlich füllte. Dennoch haftete
dem gedrungenen Mann nach wie vor der Geruch des Emporkömmlings an, was ihn die Patrizier Assisis, mit denen er Seite an Seite im Rat saß, bei jeder nur denkbaren Gelegenheit überdeutlich spüren ließen. Es brauchte eben länger als drei Generationen, bevor aus einem aus der Unterstadt ein nobile werden konnte, und manche Angehörigen der alten Geschlechter waren sogar der Ansicht, es sei ein ganz und gar sinnloses Unterfangen, so etwas auch nur zu versuchen.
Giacomo Morra ging es durchaus gut. Die Geschäfte liefen zufriedenstellend, seine Frau ging mit dem fünften Kind schwanger, und er hoffte inständig auf einen Sohn und Erben, nachdem sie ihm bislang vier gesunde Töchter in Folge geschenkt hatte. Er hatte gerade seine beiden Gehilfen zu Botengängen weggeschickt, als auf einmal ein Mann sein Kontor betrat. Obwohl draußen die Sonne auf das Pflaster brannte, schien es drinnen auf einmal dunkler und kühler geworden zu sein, was nicht nur an dem schwarzen Umhang liegen konnte, den der Fremde trug.
»Ihr seid Giacomo Morra?« Die Stimme klang ruhig, und doch war die Schärfe zu spüren, die in ihrer Tiefe verborgen lag.
Der Holzhändler nickte.
»Was wollt Ihr?«, fragte er. »Aus welchem Grund sucht Ihr mich auf?«
»Trifft es zu, dass die Signoria Euch vor Kurzem die Zuständigkeit für die Schwerverbrechen in der Stadt anvertraut hat?«, fragte der Fremde weiter, ohne Morras Frage beantwortet zu haben.
»Ja«, sagte der zurückhaltend. »So und nicht anders verhält es sich.«
Was hätte er nicht darum gegeben, diese lästige Verantwortung
so schnell wie möglich wieder los zu sein! Die anderen Ratsmitglieder schienen heilfroh zu sein, dass nun er seinen Kopf dafür hinhalten musste. Keiner aus den vornehmen Familien Assisis hatte sich weiterhin mit diesem ungeliebten Amt beflecken wollen. Doch das alles ging den Fremden selbstredend nichts an.
»Dann bin ich also richtig bei Euch.« Der Mann im schwarzen Umhang streckte ihm ein zusammengefaltetes Pergament entgegen. »Lest das! Und dann tut, was Ihr tun müsst!«
»Was sollte das sein?«, rief Morra, als der Besucher schon wieder zur Tür strebte. »Redet, denn ich nehme keinen Auftrag an, über den ich nicht Bescheid weiß!«
Der Mann war stehen geblieben. »Vor wenigen Tagen ist ein schrecklicher Mord geschehen«, sagte er. »Den alten Eremiten hat es getroffen, der lange allein oben in den Carceri gelebt hat. Ihr habt gewiss davon gehört.«
Morra nickte so heftig, dass sein Doppelkinn ins Schwabbeln geriet.
»Die frommen Brüder wollen ihn heute beisetzen, soweit ich weiß«, sagte er. »Ihr müsst wissen, meine Familie unterhält enge Beziehungen zum Sacro Convento und besonders zu Abt Matteo. Wir sind sozusagen die Stützen, auf denen alles ruht. Ohne unser solides Bauholz, das meine Familie auch in Krisenzeiten zu beschaffen wusste, hätte weder San Francesco noch das Kloster in diesem kurzen Zeitraum errichtet werden können.«
»Dann müsste es Euch persönlich ein besonders großes Anliegen sein, den Mörder jenes Mannes zu fassen.« Der Mann zog die Kapuze tiefer in die Stirn.
»Ihr wisst, wer der Mörder ist?« Giacomo Morra war trotz seiner Fülle behände aufgesprungen. »Dann sagt es mir! Ich werde unverzüglich die Büttel auf ihn hetzen …«
»Lest!« Die Stimme war pures Eis. »Und dann trefft die richtigen Entscheidungen! Ich zähle auf Euch.«
Wieso gelang es ihm nicht, das Gesicht des Fremden richtig zu erkennen? Morra fühlte sich von Augenblick zu Augenblick unbehaglicher. Die Züge dieses Mannes schienen im Schatten der übergroßen Kapuze zu verschwimmen. Nase, Wangen, Kinn, alles ging auf seltsame Weise ineinander über. Nur die Augen fixierten ihn, kalt, hell, ohne erkennbare innere Bewegung.
Den Holzhändler überfiel eine nie zuvor gekannte Bangigkeit. Gleichzeitig spielte ihm sein Körper die seltsamsten Streiche. Im Bauch begann es zu grummeln, als müsse er sich auf der Stelle entleeren, seine Lider wurden schwer, und er hätte schwören können, aus eigenem Willen kein Glied mehr rühren zu können. War ihm etwa der Leibhaftige in Person erschienen, um dreist nach seiner Seele zu greifen?
»Wer seid Ihr?«, rief er angsterfüllt. »Wie lautet Euer Name?«
»Ein Bruder«, sagte der Fremde und hüstelte. »Sind wir das nicht alle – Brüder?«
Er zog den Umhang enger und verließ das Kontor.
Erst nach einer Weile wagte Ratsherr Morra, zur Tür zu gehen und ihm
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