Braut von Assisi
nachzuschauen. Doch sosehr er auch spähte, die Gasse vor dem Haus war leer.
Schwer atmend schlich er zu seinem Stuhl zurück. Seine Hände zitterten, als er das Pergament auffaltete und zu lesen begann.
Einmal. Zweimal. Schließlich noch ein drittes Mal, bis er sich endlich in der Lage sah, alles zu begreifen. Eine anonyme Anschuldigung – doch von welchem Kaliber!
Noch immer unsicher, griff er nach seinem Barett. »Cecilia! «, rief er nach oben. »Hörst du mich? Ich muss dringend noch einmal weg.«
Nach einiger Zeit erschien der rötliche Lockenkopf seiner Frau über dem Treppengeländer. »Was hast du gerade gesagt, Giacomo?«, fragte sie lächelnd. »Das Essen ist beinahe fertig.«
»Ich gehe hinüber ins Rathaus«, rief er. »Und es kann länger dauern. Warte lieber nicht mit dem Essen auf mich!«
Steifbeinig kam sie die Treppe herab. Ihr Bauch war nicht mehr zu übersehen, rund wie niemals zuvor wölbte er sich unter dem sommerlichen Stoff. Ein Junge, wie die Hebamme immer wieder versicherte, die sich für ihre angeblich stets treffsicheren Voraussagen bereits einen ordentlichen Batzen hatte zustecken lassen. Der heiß ersehnte Erbe zur Weiterführung der Familientradition, auf den sie beide seit mehr als acht Jahren hofften.
»Jetzt?«, erkundigte sie sich erstaunt, als sie unten bei ihm stand. »Ausgerechnet heute, wo die Köchin seit dem ersten Hahnenschrei dein Lieblingsgericht vorbereitet hat? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Und wie siehst du überhaupt aus, Giacomo? So bleich und verschwitzt, als wäre dir ein Geist erschienen. Bist du krank? Was fehlt dir, Liebster?«
Wie gern hätte er jetzt den Kopf in ihren Schoß gelegt, sein heißes Gesicht in die Falten ihres Kleides auf den Bauch gedrückt, in dem das Kind bereits strampelte, dass es eine wahre Freude war, um sich wieder lebendig zu fühlen! Doch das Pergament in seiner Hand rief ihn zu unangenehmen Pflichten.
»Es ist nichts«, flüsterte er. »Nur diese Hitze und diverse Ratsangelegenheiten, über die ich vorläufig noch Stillschweigen bewahren muss. Mach dir bitte keine Sorgen!«
Cecilia öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber wieder unverrichteter Dinge, was eigentlich gar nicht ihre Art war.
Giacomo drehte sich rasch um, bevor sie doch noch etwas sagen konnte, was ihn aufhalten würde. Er spürte ihren Blick im Rücken, als er hinausschlurfte wie ein alter Mann, als hätte die Begegnung mit dem Fremden auf geheimnisvolle Weise alle Kraft aus seinem Körper gesogen.
Leos Nacken begann erst zu kribbeln, als er das Dormitorium betreten hatte. Die ganze Zeit zuvor hatte sein Körper ihm keinerlei erkennbare Signale gesendet, obwohl er so gut wie in jede Ecke des Klosters gekrochen war. Vom Keller bis unter das ziegelgedeckte Dach – alles hatte er gründlich untersucht, eskortiert von seinen beiden Leibwächterinnen, deren Mienen und Gesten unmissverständlich ausdrückten, was sie von seinen Bemühungen hielten.
Regulas Hilfe als Übersetzerin hätte er dabei eigentlich gar nicht bedurft, denn Chiaras designierte Nachfolgerin beschränkte sich auf ein kurzes Knurren, sobald ihr etwas, das Leo tat, ganz besonders missfiel, gepaart mit einem ruckartigen Hochziehen der Schultern, was ihn anfangs beinahe aus dem Tritt gebracht hätte.
Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, ebenso wie an Suor Regulas aufdringliches Schlurfen, das immer lauter und unwilliger wurde, je weiter sie gelangten. Leo versuchte, die beiden Nonnen so wenig wie möglich zu beachten, sondern sich ganz auf das zu konzentrieren, was er jeweils in Augenschein zu nehmen hatte. Allerdings machte ihm einiges, das er bei seiner Durchsuchung zu sehen bekam, schwer zu schaffen.
Vom heimischen Kloster in Ulm seit vielen Jahren an Kargheit und Einfachheit gewöhnt, erstaunte und befremdete
ihn das Maß der Armseligkeit, mit dem er hier konfrontiert wurde. Die frommen Schwestern von San Damiano waren offensichtlich ärmer als jeder Bettler, der ihm jemals begegnet war. Sie besaßen nicht einmal eine zweite Kutte zum Wechseln und bereiteten ihr karges Essen auf einer winzigen, rußgeschwärzten Kochstelle zu. Dabei schienen sie richtiggehend stolz darauf zu sein, ihm ihre nahezu leeren Truhen, Kisten und Körbe, in denen er nicht einmal genug Nahrung für die nächsten beiden Tage entdecken konnte, wie Trophäen zu präsentieren. Leo wusste, dass sie von Spenden und Almosen lebten und es nicht anders wollten. Die Handarbeiten, die sie in den
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