Brautflug
Pumps schwankten, konnte sie sehen, dass sie ebenso erschrocken war wie sie. Die anderen Leute wichen einen Schritt zur Seite, als spürten sie, dass hier eine besondere Begegnung stattfand. Vielleicht aber auch einfach, weil Esther eine Erscheinung war, zu der man Abstand halten musste, um ihren Anblick zu verarbeiten.
Alle drei standen sie da und drucksten herum. Dies hätte nie passieren dürfen, und niemand hatte eine Lösung parat. Sie beäugten einander und tauschten ein paar Grußformeln aus. »Hallo, hallo, wie geht es, gut, o ja … oh dear.«
»Esther«, sagte Hans, als könnte er es nicht glauben.
Zitternde, lange Finger zogen eine Zigarette aus dem Päckchen, das unverfroren in dem rosaroten Rockbund steckte. Was nicht alles unter so einem perfekten Jäckchen versteckt ist. Hans nahm eine an, Marjorie lehnte schweigend ab. Sie sah zu, wie ihr Mann sich beeilte, Esther Feuer zu geben.
»Was macht ihr hier?« Die Worte wurden mit dem Rauch zusammen ausgehustet.
»Wir wohnen hier.«
»Oh … ja?«
»In Khandallah Village.«
Sie zeigte irgendwo hinter sich in den Himmel.
Esther sah erstaunt in die Luft.
»Ich dachte, in Auckland.«
»Wieso?«
»Das dachte ich.«
»Warum denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich dachte es einfach.«
Und so ging es weiter, so lange, wie sie brauchten, um ihre weichen Knie unter Kontrolle zu bekommen. Inzwischen studierte Marjorie das geschminkte Gesicht vor sich, das Make-up war aufdringlicher, als sie es in Erinnerung hatte. Augenbrauen in einem perfekten Bogen gezeichnet. Die Bernsteinfarbe der Augen, eingerahmt von geraden, künstlichen Wimpern, die den Blick schwer und überheblich werden ließen. Ein gepudertes Gesicht, das sich einem grell und imposant aufdrängte, der Mund im selben Rosarot wie das Kostüm. Sie empfand gleich wieder eine Abneigung gegen sie. Abgesehen von allen anderen Dingen war sie sich natürlich sogleich ihres einfachen Rocks und der Bluse bewusst, in der sie gerade noch so zufrieden herumgelaufen war. Die flachen, bequemen Absätze ihrer Schuhe. Ihr flaches, bequemes, kleines Leben, in dem von einer eigenen Karriere, mit ihrem Namen lebensgroß auf der Fassade, keine Rede war.
»Khandallah Village ist ein wunderschöner Stadtteil«, sagte Marjorie schnell, »alle Straßen haben indische Namen. Nicht, dass dort viele Inder wohnen. Es ist eine gute Nachbarschaft. Unser Haus hat drei Schlafzimmer, einen großen Garten und eine Garage.«
Die ganze Zeit über tanzte das Kind über ihren Köpfen.
Um sie herum herrschte emsiger Betrieb. Sie wurden umringt von neugierigen Passanten, und hinter Esther zwängten sich die Umzugsleute mit einer langen Ladentheke vorbei. In dem Laden lief der blasse junge Mann nervös hin und her und hielt sehnsüchtig nach seiner Auftraggeberin Ausschau. Ein Stofflieferant breitete seine Warenrechnung auf der nagelneuen Ladentheke aus und wartete. Marjorie nahm das alles wahr und gleichzeitig sah sie aus den äußersten Augenwinkeln heraus, oder vielleicht auch schräg durch ihren Hinterkopf hindurch, Bobby auf der anderen Straßenseite stehen, mit Frank. Sie konnte nur hoffen, dass sie dieses Gespräch irgendwie zu einem Ende bringen konnte, bevor er zurückkommen würde, um nachzusehen, wo Mum und Dad blieben. Ihr Hirn arbeitete auf Hochtouren. Ihr gegenüber hing eine lebensgroße Frage im Bernstein, am nervösen Ziehen an der Zigarette ließ sich die Spannung ablesen. Marjorie durfte ihr nicht die Zeit geben, eine Frage zu stellen. Es ging die Frau nichts an, wo das Kind war.
»Well«, sagte sie und klatschte in die Hände, als Zeichen dafür, dass sie sich verabschieden wollte.
Hans war sich jedoch wieder einmal der Gefahr nicht bewusst. Sein Vertrauen in die Menschen war manchmal zum Verrücktwerden. Als wäre das hier eine stinknormale Begegnung, fragte er interessiert nach Esthers Geschäft und verstrickte sich in ein Gespräch über das Warmhalten von anspruchsvollen Geldgebern und dem Aufbau von konservativer Kundschaft – ein Gespräch, das sich nicht so schnell beenden ließ. Dussel, dachte Marjorie nur noch, Dussel, Dussel, Dussel, und währenddessen konnte sie fast spüren, wie Bobby nach rechts guckte und dann nach links, wie sie es ihm beigebracht hatten, und wie er auf eine Lücke im Verkehr wartete, um dann die Straße zu überqueren. Sie wollte ihm zurufen: Bleib weg! Renn um dein Leben! Mit wilden Gebärden wollte sie deutlich machen, dass hier Gefahr drohte, aber sie traute sich nicht
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