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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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einmal, in seine Richtung zu sehen, aus Angst, dass Esther ihrem Blick folgen würde.
    »Das ist schon mein zweiter Laden«, sagte Esther, »Christchurch ist mir zu klein geworden«, und sie wedelte sich selbst mit dem Farbfächer frischen Wind zu, als wollte sie damit eigentlich sagen, dass ihr dort der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war. Marjorie sah, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Bobby und Frank überquerten die Straße.
    Esther fing an zu stottern. Der Satz, den sie gerade sagen wollte – dass ihre Boutique diese ganze Geschäftsgegend verändern würde –, rollte kraftlos aus ihrem Mund und zerschellte auf dem Fußweg. Sie stieß einen kurzen, heiseren Schrei aus. Danach wurde es still.
    Schweigend sahen sie alle drei zu.
    Frank hatte seinen Arm locker schützend um die Schultern des Kindes gelegt und leitete ihn sicher auf die andere Straßenseite. Der Junge lief mit den Händen in den Hosentaschen, die Augen gegen das grelle Sonnenlicht leicht zugekniffen. Es kam Marjorie vor, als wäre er extra hell ausgeleuchtet, sodass man erst jetzt richtig sah, wie vollkommen er war, der beste Junge, den man sich vorstellen konnte: stark und lieb, mit gescheiten Gesichtszügen und einem übermütigen Blick. Der Blick, von dem sie sich in den letzten Jahren weisgemacht hatte, dass er von ihr stammte und in dem nun gnadenlos die andere durchschimmerte.
    »Komm«, sagte sie kraftlos zu Hans und ergriff seinen Arm. Von ein paar Metern Entfernung aus erkannte Frank diejenige, mit der sie sich unterhielten. Marjorie sah in seinen Augen die Freude über diese unerwartete Begegnung. »Esther!«, rief er, und erstaunlich scharf erinnerte sie sich, wie er
sie
vor zwei Jahren nicht sofort erkannt hatte, als sie begeistert seinen Namen gerufen hatte.
    Unter der Puderschicht wurde Esthers Gesicht aschgrau, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Marjorie hielt die Luft an und kniff Hans in den Arm. Sie traute sich nicht, ihn anzusehen. All die Menschen, die von nichts wissen durften. Er legte seinen Arm beruhigend auf den ihren, eine Geste, die sie fuchsteufelswild machte. Mit einer brüsken Bewegung zog sie ihre Hand zurück.
    Entlang unsichtbarer Familienlinien lief Bobby auf sie zu. Marjorie holte die Linien wie Angelleinen ein und wickelte sie drei darin ein, strich ihrem Sohn durch sein kurzes Haar. Er wich ihr mit einer geschickten Bewegung aus, ein vertrauter Tanz, einer von vielen. Inzwischen verfolgte sie genau Esthers Versuche, sich von dem Schreck zu erholen und Frank wie einen normalen Menschen zu begrüßen. Sie umarmten einander,
hello, hello
. Dann ergriff er ihre Hände, warf die Arme in die Luft und musterte sie von Kopf bis Fuß. Zwischen ihnen war eine Intimität zu spüren, von der Marjorie früher nichts mitbekommen hatte. »Kein bisschen verändert«, sagte er. Esther lachte heiser, und währenddessen wanderten ihre Augen zu dem Kind, das vollkommen unwissend und nicht sonderlich interessiert in der Nähe seiner Eltern stehen geblieben war. Seine Eltern, dachte Marjorie, es hämmerte in ihrem Kopf, seine Eltern, Eltern, Eltern, wie eine Beschwörungsformel, doch der Bernstein brannte durch alle Familienstränge hindurch. Krampfhaft unterdrückte sie die Neigung zu schreien, um Hilfe zu rufen. Ihr würde niemand etwas anmerken. Kein Umzugsunternehmer oder Passant würde etwas Merkwürdiges an dieser Szene entdecken, jedenfalls nicht ihretwegen. Von außen betrachtet war dies einfach ein Treffen einer Gruppe von Einwanderern, die vor zehn Jahren zusammen ins Land gekommen waren und jetzt Englisch und ihre Muttersprache durcheinanderbrachten.
    Es entging ihr nicht, dass Esther auf die Fragen, die Frank ihr stellte, kaum Antworten geben konnte, dass sie nach Luft schnappte und merkwürdige, glucksende Geräusche von sich gab. Doch es waren normale, interessierte Fragen, was wusste er schon, wie es ihr ging, wie schön, dich wiederzusehen, ist das alles deins?
Congratulations
. Sie sah Esthers Augen unruhig von dem Mann zu dem kleinen Jungen wandern, der hinter ihr auf dem Gehsteig wartete, bis die Erwachsenen endlich weitergingen. Ein Welpe, der nicht merkt, dass der Jäger sich anschleicht.
    »Bobby
darling
 …«, sagte Marjorie laut und winkte ihm. Jetzt wollen wir mal sehen. Esther stockte mitten im Satz. Nun musste sie schnell sein und die Oberhand gewinnen. Sie griff ihr Kind an den Schultern und schob es nach vorne. »Das ist unser Bobby«, sagte sie, und ihre Worte

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