Brautflug
eine verlassene Weidelandschaft in Richtung Westen fuhr. Eine Landschaft, in der man sich verloren fühlte, ohne dafür einen wirklichen Grund zu haben. Sie hielt sich mit beiden Händen am hölzernen Rand fest. Ihr blauer Erfolgskoffer rutschte auf dem Boden hin und her.
Sie waren noch keine zwanzig Minuten gefahren, als sie in der Ferne einen Bus aus Richtung Flughafen kommen sah. Sie hoffte, dass es nicht der Passagierbus war, da sie nicht wollte, dass Frank sie so sah, während sie keine Gelegenheit hatte, ihre Situation zu erklären. Sie können es nicht sein, schließlich lauschten sie noch den Reden. Der Bus fuhr viel schneller als der alte Ford, und als der Busfahrer zum Überholmanöver ansetzte, wusste sie, dass sie sich getäuscht hatte, dass ihre Mitreisenden auch nicht die Zeremonie abgewartet hatten und der Bus nun proppenvoll mit ausgelassenen jungen Leuten war, den Auswanderern, den Auserwählten,
ihrer
Gesellschaft,
ihrer
Gruppe. Esther war die Erste, die sie entdeckte. Die nachgezeichneten Augenbrauen schossen in die Höhe, der rote Mund klappte nach unten. Ada versuchte ungezwungen zu winken, doch als der Truck durch ein Schlagloch fuhr, musste sie sich schnell mit beiden Händen festklammern. Lachend setzte sie sich wieder auf. Esther lief durch den Bus hindurch nach hinten. Marjorie winkte ihr weiter zu, als könnte sie mit ihrem Winken etwas mildern oder ihr Mut machen.
Er saß auf der Rückbank. Esther beugte sich zu ihm herüber. Mit einem Ruck drehte er sich zum Fenster um. Hier bin ich, dachte sie. Und in ihrem Innersten zerbrach etwas, denn in seinen Augen sah sie sich selbst ertrinken, und sie konnte es ihm nicht erklären.
Der Bus überholte den Truck, und ihre Augen wanderten ihm hinterher, während sie sich am Rand der Transportkiste festklammerte, ihre Augen in die seinen versenkt. Wie hätte sie ihm erklären können, dass er nicht länger darüber nachzudenken brauchte, dass dies für sie die einzige Option war – Diener eines grausamen Gottes, den sie seiner Grausamkeit wegen hassen konnte – und dass die Alternative, die Entscheidung für
ihn
, eine Entscheidung
gegen
Gott sein würde, gegen die Kirche, gegen ihre Eltern, gegen alles, was sie jemals gelernt hatte und woran sie glaubte. Dass ihr der Mut fehlte, die furchtbare Grausamkeit Gottes heraufzubeschwören und verstoßen zu werden. Das alles konnte sie nicht erklären. Daher sah sie ihn einfach so lange an, wie es nur irgendwie ging. Und als sie ihn nicht mehr zwischen den anderen Reisenden erkennen konnte, schaute sie weiter dem Bus hinterher, der sich scheinbar immer schneller von dem Truck entfernte. An einer Abzweigung, an der der Bus geradeaus weiterfuhr, bog der Truck rechts ab. Sie kauerte sich an der Rückseite des Führerhauses zusammen und schaute dem Bus so lange nach, bis sie nur noch ein Pünktchen sah, das in einer weiten und alles verschlingenden Landschaft verschwand.
Der Truck fuhr in entgegengesetzter Richtung durch das Gebiet, das sie vom Flugzeug aus gesehen hatte. Sie fuhren zurück nach Westen. Die Obstgärten, das umsäumte Weideland, die Scheunen, die Häusergruppierungen, die hölzernen Kirchen. Noch immer gab es nicht das geringste Zeichen von Leben, sodass es schien, als würden sie sich ganz von der Zivilisation entfernen. Lustige Schafe haben sie hier, dachte sie. Dann tauchten die Berge auf. Links die Eisenbahnschienen. Die Berge mit ihren verschneiten Gipfeln rückten immer näher. Es waren große, hohe Berge. Die Straße kreuzte die Bahnschienen, die nun auf der rechten Seite weiterliefen. Doch wohin? Sie sah, wie fremd die Landschaft war. Die erste Hügelkette tauchte neben ihr auf, darauf grasten pechschwarze Kühe, die ziemlich klein wirkten. Die Hügelkette kam auf sie zu, rückte immer näher. Pferde, ein weißes und ein braunes. Heißen diese Berge
Alpen
, überlegte sie, so wie die europäischen, hatte er das gesagt? Der Weg machte eine Rechtskurve. Auf einmal waren sie von den Bergen umschlossen. Der Weg wurde kurvenreich und hügelig. Sie fuhren bergauf. Links tauchte ein schmales Flüsschen auf, das schnell breiter und tiefer wurde. Ja, wir sind also tatsächlich in den Bergen. Glänzende, goldbraune Gräser, die im Wind wehten. Einen kurzen Moment lang sah sie die Schönheit all dessen. Eine Landschaft, der man sich ganz hingeben könnte. Hier bleiben, nicht als Mensch, sondern als Fluss. Der Wind ruckelte am Auto. Nebel zog zwischen den Bergspitzen auf, und die Kälte
Weitere Kostenlose Bücher