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Schaden ist bereits angerichtet. Anastasias Mundwinkel streben nach unten.
»Das trägt man in Beverly Hills«, sagt sie.
Womit Rachel nun gar nichts anfangen kann.
»Habt ihr auch an meine Leber gedacht?«
»Ja.« Miriam legt mit spitzen Fingern ein blutgerändertes Päckchen auf den Tisch. »Da. Ihh!«
»Kalbsleber ist nicht ihh«, belehrt Rachel ihre Enkelin. »Sondern was ganz Feines. Schön mit gedünsteten Äpfeln, reichlich gebratenen Zwiebeln und Kartoffelbrei.«
Und ordentlich versetzt mit Erinnerungen, denkt Jehuda, als er den Raum betritt, Yael auf dem Arm.
Erinnerungen an Berlin.
»Na, magst du Leber?«, sagt er zu Yael. »Feine Leber?«
»Ihh«, macht Yael.
Er lacht, obwohl er sich fühlt wie in einer Zeitschleife. Wie Ijon Tichy aus Lems Sterntagebüchern , der sich in Gravitationsanomalien unentwegt selbst begegnet. Seit Rachel die Familie aufgenommen hat, lebt er in einem einzigen Déjà-vu. Hier ist er groß geworden, sogar mit Phoebe hat er noch eine Weile in Kfar Malal gewohnt. Wie jung sie damals waren! Jeder Tag führte sie an Kreuzungen mit tausend Wegweisern. Tausend Möglichkeiten zu wählen, und heute?
Sind wir schon froh, wenn mehr als eine Richtung angeschlagen steht.
Das heißt, es sind schon noch jede Menge Richtungen angeschlagen, nur können wir anders als früher, wenn wir falsch abgebogen waren, nicht mehr so einfach zurück.
Yael hingegen, die kleine Yael, weiß noch gar nicht, was es bedeutet, wählen zu dürfen.
Oder zu müssen.
Rachel jedenfalls freut sich, das sonst leere Haus voller Menschen zu haben. Und Jehuda freut sich, dass sie sich freut, das war’s dann aber auch mit der Freude. Man sollte erwarten, an einem Ort wie diesem von wohligen Empfindungen umspült zu werden, Flashbacks an Sommertage, Tiere und Feldarbeit. Stattdessen, wenn er nachts in seinem früheren Zimmer liegt und Phoebe neben ihm leise seufzt, empfindet er ein Gefühl tiefer Bestürzung. Als hätte es die Zeit im Sinai gar nicht gegeben. Als sei er nach Jahren des Träumens erwacht, nur um festzustellen, dass er nie weg war, dass es immer nur Kfar Malal und diesen Hof gegeben hat.
Blödsinn natürlich, aber es macht ihm zu schaffen.
Phoebe sagt: »Miriam, gibst du mir mal das Messer? Das kleine bitte.«
Jehuda sieht zu, wie sie Chilischoten in schmale Streifen schneidet, und wundert sich.
Seine Frau.
War es gestern, als er dachte, na, mal sehen, wie lange das hält, andere Väter haben auch hübsche Töchter?
Drei Jahrzehnte hat es schon gehalten. Wahrscheinlich die letzte Frau, mit der er je schlafen wird. Selten, immer seltener, bis es ganz aufhört. Dinge enden. Gelegenheiten verstreichen und ergeben sich kein weiteres Mal. Die Kreuzungen werden weniger, der letzte Pfeil weist in die Dunkelheit, und du erkennst:
Das war mein Leben.
Eine Schlangenlinie, zwar abenteuerlich gewunden, dennoch so und nicht anders. Schon darum ist die Jugend um so vieles reicher: In der Vorausschau lebst du jedes mögliche Leben.
Zurückblickend hast du nur eines gelebt, und wählen zu können, erweist sich als Illusion.
Gedanken an Endgültigkeit, du lieber Himmel!
Wischt sie weg. Auch mit 54 kann man sich fühlen wie 25. Oder? Na ja, vielleicht drei Stunden am Tag. Auf jeden Fall reicht es, um noch einmal ganz von vorne anzufangen.
Das Leben liegt hinter uns, stimmt.
Das Leben liegt vor uns.
Stimmt auch.
Er sieht Phoebe lachen. Das Wichtigste überhaupt. In den vergangenen Wochen hat er sich wirklich Sorgen um sie gemacht. Wegen Katzenbach. Sie steigerte sich in die Vorstellung hinein, einen fürchterlichen Fehler begangen zu haben, da konnte er sie noch so oft daran erinnern, dass sie drei Menschen das Leben gerettet hatte. Ohne Unterlass quälte sie sich mit der Frage, was sie hätte sagen und tun können, um auch den Alten zu retten, schlimmer noch, dass letztlich sie es war, die ihn in seinem Entschluss bestärkt hatte, indem sie ihn nötigte, in seiner Vergangenheit rumzuwühlen.
Sie fühlt sich schuldig, stattdessen sollte sie sich von Katzenbach verraten fühlen.
Der alte Idiot.
Doch allmählich geht es ihr besser.
Ihr Geist gesundet.
Jehuda nimmt ein Stück Apfel von der Arbeitsfläche, hält es Yael hin, und die kleine Sonne geht auf. Er ist entzückt. Dieses Kind liebt er über alles. Und das ist gut so, denn wie weit Anastasias Liebe reicht, dessen ist er sich mitunter nicht ganz sicher.
Ein anderes, leidiges Thema.
Irgendwann werden wir auf diese Tage zurückblicken und
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