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Hinterkopf zu kratzen. Und bei alledem spielt die Jewish Division eine maßgebende Rolle, schließlich, wer hätte mehr Interesse an Scharons Tod haben können als die militanten nationalreligiösen Siedler?
Kahn sagt erst mal gar nichts.
Belässt den Blick auf der Fahrbahn.
Straßenschilder tauchen im Scheinwerferlicht auf, weiße Schrift verflüssigt auf grünem Grund. Sie setzt den Blinker, fährt von der Autobahn ab auf die Schnellstraße 38, nur Hügel und Bäume, keine Straßenbeleuchtung mehr.
Es wird stockfinster, das Ganze bekommt etwas von einer Tauchfahrt.
In tiefste Abgründe.
Endlich, weiter vorne, wieder vereinzelt Lichter.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt sie voller Sarkasmus. »Sie haben Yossi Backenroth auf dem Gewissen. Ihren Freund. Die Russinnen. Mich vielleicht auch.«
»Ich wollte doch nur die –« Das Wort sperrt sich, setzt sich quer. »– Wahrheit ans Licht bringen.«
Wartet auf den Blitz, der ihn jede Sekunde treffen muss.
Mal im Ernst: Das kann ihm da oben doch keiner durchgehen lassen!
Aber da oben ist niemand.
Zumindest niemand, den’s interessiert.
Kahn fährt rechts ran, macht den Motor aus. Vor einer schwarzen Wand aus Vegetation stehen sie da, während der Regen aufs Dach trommelt. Hin und wieder rauscht ein Auto vorbei.
»Tut mir leid«, flüstert sie.
»Ja. Mir auch.«
»So viele Jahre ist das jetzt her, und ich weiß immer noch nicht, wo die überall ihre Kontaktleute haben. Aber dass mindestens einer beim Schin Bet sitzt, war mir schon klar.«
»Wer sind Die ?«
»Typen wie Jigal Amir und sein Bruder. Die Rabin-Mörder. Nur viel organisierter. Die hier haben richtig Macht, und offenbar infiltrieren sie auch die Polizei.«
»Frau Kahn! Was ist damals –«
»Yael.«
»Wovor haben die Angst, Yael? Was kannst du – was hätte Yossi mir erzählen können, dass die zu solchen Mitteln greifen?«
Sie schweigt eine Weile.
Dann sagt sie: »Yossi hätte dir mehr erzählen können.«
»Was, Yael? Was hätte er mir erzählen können?«
»Alles.« Sie sieht ihn an. Im Dunkeln ist ihr Gesicht kaum zu erkennen. »Er war der Attentäter.«
1982
Libanon, September
Nirgendwo sehnen so viele Gläubige den Messias herbei wie im Nahen Osten. Und kaum einer macht sich ein konkretes Bild von seiner Ankunft, geschweige denn von ihm selbst.
Bis auf die christlichen Maroniten Beiruts.
Die wissen sogar, auf welcher Seite er den Scheitel trägt.
Bachir Gemayel trägt ihn links.
Wohin man den Blick wendet, begegnet man seiner ikonenhaften Überhöhung. Gemalt oder gedruckt prangt er an Hauswänden, Bauzäunen, in Schaufenstern, auf Fahnen und Wimpeln, die wie Wäscheleinen über die Straßen gezogen sind. Schaut von Bussen, Autotüren, Kaffeetassen, T-Shirts, Mützen, Buttons, Kugelschreibern, Bibeln in einen Libanon aller Libanesen, frei von Repression, Gewalt und Hass. Ein Erlöser fürwahr. Das Wimpy auf der Hamra Street verscherbelt Tee und Cappuccino aus Pappbechern mit Gemayels Konterfei darauf, Messias to go, wer ein Kruzifix um den Hals hängen hat, hängt Bachirs Bildnis daneben, in erotisch-religiöser Verzückung rücken sie ihr Idol gar in die Nähe des Gekreuzigten, eine Koinzidenz, die sich auf fatale Weise erfüllt.
Denn Jesus von Nazareth ist tot.
Und Bachir von Beirut jetzt auch.
Alles war umsonst.
Wochenlang hat Zahal Westbeirut in die Zange genommen, palästinensische Stellungen beschossen und bombardiert, ein Viertel nach dem anderen unter Kontrolle gebracht, Arafats Aktionsradius Meter um Meter verkleinert, bis er und sein Gefolge auf engstem Raum eingekesselt waren, praktisch handlungsunfähig.
Und mit jeder Bombe, jeder Granate –
Taten sie ihm den allergrößten Gefallen.
Stilisierten ihn zum heroischen Führer des palästinensischen Volkes, ohne dass er selbst sonderlich viel dafür tun musste. Nur erschüttert in Mikrofone sprechen, in Kameras gucken, und den Rest besorgten Newsweek , CNN und BBC . Abend für Abend. Bei Chips und Bier flimmerte das palästinensische Elend in westliche Wohnzimmer, qualmende Schuttberge hier, trauernde Witwen da, Kinder mit blutigen Verbänden. Das Narrativ der Vertreibung, Besatzung und Unterdrückung in immer neuer Dokumentation. Ein kleiner Mann mit schwarz-weißer Kufiya, den Tränen nah. Sieht so ein Terrorist aus? Folgt nur seinem zitternden, anklagenden Zeigefinger, schaut auf die Trümmer, verkohlten Autowracks, übernächtigten Ärzteteams, das soll eine Operation zum Schutz des israelischen Nordens
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