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eintreffen.
Natürlich!
»Komm«, keucht er.
»Warte – nicht so schnell –«
»Komm mit.«
»Mhm?«
»Du hast recht! Wir werden da sein! Wir werden keine Sekunde der Vorstellung verpassen.«
»Wir?« Inga beugt sich zu ihm herab. Dicke, warme Tropfen lösen sich von ihrem Gesicht, zerplatzen auf seinem Brustkorb. »Das war ein Witz, Tom.«
»Nein. Das ist genial!«
»Du willst im Ernst dahin?«
»Wir! Du, Krister und ich.«
Sie starrt ihn an. Erschlafft. Lässt sich auf ihn niedersinken.
»Und du meinst, das kriegst du in der Redaktion durch?«
»Bis heute hab ich noch alles durchgekriegt.« Sein Zorn löst sich auf wie ein Rauchkringel. »Und weißt du was? Diesmal bist du dabei. Ich mache das klar. Versprochen.«
Schweigen, schweres Atmen. Dann:
»Ich weiß nicht –«
»Was heißt das?« Er glaubt sich verhört zu haben. »Letztes Mal bistdu fast ausgetickt, weil du nicht mitdurftest. Und das war weitaus gefährlicher. Diesmal müssen wir uns nur eine vernünftige Deckung suchen.«
Sie antwortet nicht, und Hagen beschleicht ein schaler Verdacht. Aalt sich da eine Maulheldin auf ihm? Große Klappe, kleines Herz? Ich will mit, ich will mit! – Es klingt ihm noch in den Ohren. Warum? Weil sie ganz genau wusste, dass Hamburg sie nicht lassen würde? Im Schutz eines Verbots kann man locker behaupten, dagegen verstoßen zu wollen.
»Du willst doch mit?«, fragt er.
Ein Anflug von Enttäuschung muss wohl darin mitgeschwungen haben, denn Inga beißt ihn ins Ohr und sagt eine Spur zu schnell:
»Frag nicht so blöd.«
Auf der Hügelkuppe lauern reglos wie Leguane zwei Sniper, in stoischer Erwartung.
Tausendmal sind sie ihren Einsatzplan durchgegangen. Haben die Isolation gesucht, sich in die vor ihnen liegende Aufgabe hineinmeditiert, ihre Ausrüstung präpariert: Scharfschützengewehr, Granatpistole. Windmesser, Kompass, Funk, Stirnlampe mit Rotfilter, Wärmebild- und Nachtsichtbrille. Haben Umgebungskarten in ihre Uniformen eingenäht, amerikanisches Geld, eine Handvoll Goldklumpen und einen Zettel, beschrieben in afghanischen Dialekten: Wer diesen Soldaten zur nächsten Botschaft bringt, erhält 1000 Dollar. Für den Fall, dass sie aufgegriffen werden, was nicht vorgesehen ist.
Sniper sind Geister.
Vor zwei Nächten dann hat ein Helikopter die beiden auf unbewohntem Gebiet abgesetzt, in der Provinz Tachar. Sonderlich imposant sind die Höhenrücken hier noch nicht. Wie Ozeanwellen reihen sie sich beiderseits des Taloqan-Deltas hintereinander, ein geteiltes Meer aus Stein, das sich östlich des Städtchens Takafamast zum Nadelöhr verengt. Zwei Täler und zwei Höhenzüge mussten sie überwinden, ausschließlich im Dunkeln und ohne Spuren zu hinterlassen. Selbst ihre Scheiße haben sie mitgenommen – Hirten, deren Hunde Menschenkot ausbuddeln, könnten Alarm schlagen und die Mudschaheddin auf sie hetzen. Binnen einer Nacht haben sie sich so an ihr Ziel herangerobbt und auf dem Bergkamm darüber Stellung bezogen, um es für die Dauer der nächsten 24 Stunden zu observieren und jede Beobachtung verschlüsselt an die Einsatzführung in Kunduz zu funken: Wie viele Bewohner, alte und junge Männer, Frauen, Kinder, Hunde? Wer wohnt in welchem Gebäude? Wie viele Bewaffnete, welche Waffen? Wann ist Wachwechsel?
Vor allem aber:
Wo sind die Geiseln?
Knapp 80 Meter unter ihnen liegt Muneers Anwesen in der Bergflanke, der Compound, wie die Soldaten sagen. Bei Tag erdbraun und weiß, jetzt eine Ansammlung von Schatten, grün konturiert in den Nachtsichtbrillen der Beobachter. Das Haupthaus, doppelstöckig, begrenzt die Anlage nach Norden, zwei Nebengebäude schauen zur anderen Seite hin. Mehrere Ställe schichten sich den Hang hinauf, bevölkert von Ziegen, Kühen und Hühnern. Im Zentrum ein weiträumiger Platz mit einem Brunnen, das Ganze umschlossen von stadtmauerartigen Wällen aus Lehm. Typisch für eine Stammeskultur, die nur Gäste und Feinde kennt.
Im Tagesverlauf ist den Snipern in ihrem Adlernest aufgefallen, dass Schalen mit Essen in einen der Ställe gebracht wurden. Junge Männer mit Kalaschnikows haben sie hereingetragen, nicht eben die gängige Art, Vieh zu füttern. Ganz klar, dort fristen Max Keller, Marianne Degas und Walid Bakhtari ihr Gefangenendasein. Auch Frauen und Kinder haben sich gezeigt, Hirten ihre Tiere ins Tal getrieben, Bauern letzte Ernten eingeholt, Bewaffnete sich auf Patrouillengängen abgewechselt.
Dann das Abendgebet, die Dämmerung, die Nacht.
Jetzt liegt
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