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ordnen. Uns von Ballast befreien. Klären, was längst hätte geklärt werden müssen. Uns streiten, versöhnen. Ein altes Liebespaar, das Opfer hat bringen müssen, endlich imstande, ihnen einen Wert zuzugestehen.
Das Leben ist schön.
So profan.
So unendlich simpel.
Ganz erstaunlich, aber mit einemmal fluten Friede und Freude sein Hirn. Die Vorstellung, wie großartig alles immer noch werden kann, zaubert ein Lächeln auf seine Züge, auch wenn die Friedensempfindung vornehmlich der Tatsache entspringt, dass sein Herzinfarkt schnell und schmerzlos erfolgt und in seinem Kopf chemische Reaktionen auslöst, die ihn binnen Sekunden mit sämtlichen Widrigkeiten des Daseins versöhnen.
Der Jeep rast weiter geradeaus, 180 km/h schnell.
Über den Mittelstreifen auf die Gegenfahrbahn.
Einem Sattelschlepper entgegen, dessen Fahrer wie verrückt hupt, auf die Bremse steigt – haarscharf daran vorbei, zwischen zwei Autos hindurch, die mitten im Überholprozess auseinanderstreben –
Blech schrammt auf Blech –
Kurve –
Hebt ab.
Kurz scheint es, als wolle der Wagen geradewegs zum wolkenlosen, strahlend blauen Himmel emporsteigen.
Dann siegt die Schwerkraft.
Als der Jeep in einen Acker kracht, sich mehrmals überschlägt und mit jedem Aufprall weiter entformt, bis die dahinschießende Masse Blech nichts Strukturiertem mehr gleicht, ist Jehuda schon tot.
2011
Nablus, 9. November
Wahr ist, auf Sesamsäcken lässt sich übernachten.
Bloß alles andere als gut.
(Bleib fair, Junge, in deiner Verfassung hättest du im Vier Jahreszeiten auch nicht besser geschlafen, nur weicher gealbträumt.)
Außerdem wird es seine erste und letzte Nacht in einem Sesamlager gewesen sein.
»Probier das mal«, sagt Mansour.
Reicht ihm eine schwarzweiße Kufiya, die traditionelle Kopfbedeckung der Palästinenser. Hagen drapiert sich das Tuch mit ungeschickten Fingern um Kopf und Schultern, was bei den al-Sakakinis Erheiterung auslöst. Mansour legt Hand an und bringt Fasson in die textile Verschlingung. Hagens Mund und Kinn verschwinden hinter Stoff.
»Damit sehe ich aus wie der älteste Gemüseverkäufer von Nablus.«
»Besser als ein toter Gemüseverkäufer.«
Weiß Gott. Nicht nur Cox’ Leute dürften immer noch nach ihm suchen.
»Komm jetzt.«
Halb zwölf, sie haben zusammen Tee getrunken, etwas Couscous und Hühnchen zu sich genommen, Hagens und Yaels Sachen sind im Auto, Mansour drängt zum Aufbruch.
»Bis Bait Sahur brauchen wir eine Dreiviertelstunde, vielleicht länger, je nach Verkehr. Um drei holt euch Davids Freund in Schima ab, das heißt, Taxi um eins.«
Der Wagen parkt direkt vor dem Lager.
Hagen drückt Mansours Bruder kurz an sich.
Er wird ihn in süßer Erinnerung behalten.
Teesüß.
Bait Sahur
Yael – in einer arabischen Stadt im Haus eines Christen – steht am Fenster und schaut hinaus auf die kahl gefegte Mondlandschaft Südjudäas.
Während der Intifadas hat Bait Sahur von sich reden gemacht.
Durch Gewaltfreiheit.
Versöhnungsinitiativen.
Brich Brot, nicht Knochen.
Palästinensische Familien haben am Sabbat ihre Häuser für die israelischen Nachbarn geöffnet, während anderswo Steine und Molotow-Cocktails flogen. Keine hundert Meter vom Gästehaus entfernt sollen jene Hirten zur Nacht gelagert haben, denen höhere Wesen die Geburt eines gesunden Gottessohnes verkündeten (warum immer sie sich dafür einen Haufen übernächtigter Viehtreiber aussuchten), Höhlen, Zisternen, eine Kapelle und der Marienbrunnen lassen einen für Westbank-Verhältnisse regen Tourismus erblühen.
Eine Atmosphäre relativer Friedfertigkeit liegt über Bait Sahur.
Nach dem Erschöpfungsschlaf der vergangenen Stunden fühlt sich Yael, als sei sie einem Kokon entschlüpft. Niedergeschlagen und voller Angst ist sie hier eingetroffen, herzliche Aufnahme. Der Besitzer stellte klar, sie ist ihm nichts schuldig – nicht die Freundin eines Freundes eines Cousins (in welcher Art Treibsand sie steckt, wollte er gar nicht erst wissen).
Brachte ihr Tee und Sandwiches, ließ sie allein.
Yael hockte, das Hirn verkleistert von einer plötzlichen, heftigen Depression, auf der Bettkante.
Verpuppte sich, unfähig zu fühlen.
Ergab sich der Ohnmacht.
Wie immer nach solchen Phasen der Zusammenziehung gleicht ihr Geist nun einem aufgeräumten Zimmer, hat ihr Denken etwas Kristallines, liegen Erinnerungen offen vor ihr, übersichtlich gereiht. Alles präsentiert sich in ungewohnter Farbigkeit und Tiefenschärfe. Wieder kauert
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