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geworden?«
»Wär ich ja fast. Mein Vater wollte, dass ich den Hof übernehme.«
»Was kam dazwischen?«
»Israel.« Er schaut über die Kuppen der Hügel hinweg, als sei dahinter seine gesamte Vergangenheit zu besichtigen, als könne man sie durchstreifen wie einen Erlebnispark. »Aufbruch, Krieg, Lust, diesen Staat zu gestalten, als General, Landwirtschaftsminister, Verteidigungsminister, Premierminister – tja. Ein paar Jahre noch, dann schließt sich der Kreis.«
»Zu was?«
»Dann werde ich wieder Farmer sein. Und reisen. Warst du mal in der Mongolei? In China?«
»In den Anden.«
»Muss fantastisch sein.«
Sie nickt. Erinnert sich, wie sie gleich nach dem Studium mit Liz, Itzik und Schlomi durch Peru gefahren ist, von Cuzco nach Chivay durchs Colcatal. Grandios. Nur Berge und was für ein Himmel! Da waren Itzik und Liz gerade ein Paar geworden, Schlomi und Yael übereingekommen, besser befreundet zu bleiben, und Moria nicht mit von der Partie, weil bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert worden war und alles danach aussah, als würde ihr Traum von vier Kindern (und wovon sie sonst noch geträumt hatte) auf ewig ein Traum bleiben. Eine seltsame, melancholische und zugleich unbeschwerte Zeit, wie aus einem anderen Leben.
»Wie wart ihr unterwegs?«, fragt Arik. »Geländewagen?«
»Mhm.«
»Ich träume dauernd von Motorradtouren.«
»Ich hab nie ein Bild von dir auf einem Motorrad gesehen.«
»Ja, weil die Idioten meinen Motorradführerschein nach dem Militär nicht verlängert haben. Egal. Raus in die Welt!«
»Du reist doch ständig.«
»Staatsbesuche sind keine Reisen, man wechselt nur auf strapaziöse Weise den Konferenzraum.« Er schüttelt den Kopf. »Das Problem ist, ich kann einfach nicht weg. Nicht mal zu einem Konzert, einer Kunstausstellung. Man braucht Muße, um diese Dinge zu genießen, jemanden, mit dem man seine Gefühle teilen kann.« Ariks Blick bekommt etwas Sehnsüchtiges. »Jetzt habe ich weder das eine noch das andere. Keine Zeit, und Lily –« Er seufzt, lächelt wieder. »Aber in ein paar Jahren wird das anders! Ich will zu Plätzen, an denen ich nie war. Mehr Landschaften und Tiere sehen als Leute. Gerne auch Leute, aber wirklich nur ein paar, die daran Freude haben wie ich.«
»Wenn man den Umfragen glauben darf, wirst du die nächsten vier Jahre nicht dazu kommen. Oder?«
»Nein.« Er sieht sie an. »Aber das ist es wert.«
»Für was?«, fragt sie bitter.
»Für den Frieden. Hoffentlich.«
»Glaubst du wirklich daran?«
»Wenn ich daran nicht glauben würde, woran denn sonst?«
Und es passiert, bricht sich Bahn.
»Du meinst, indem du Gaza, die Westbank, indem du alles aufgibst, einfach so, all diesen Leuten ihr Zuhause nimmst, Menschen wie Phoebe und Jehuda, die nicht das Geringste mit dem religiösen Quatsch zu tun haben, die einfach nur eine Existenz dort aufgebaut hatten, wo du sie hingelockt hast –«
Stockt, schaut zur Seite.
Sieht ihren Atemwolken beim Werden und Vergehen zu.
»Sprich weiter.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Du bist traurig, nicht wahr? Ich spüre das schon die ganze Zeit über.«
Nicht weinen. NICHT weinen. Doch sie fühlt ihren Eispanzer schmelzen, kann nichts dagegen tun, Fluchtgedanken durchrasen sie, wohin? Bleiben. Für immer bleiben. Zu Hause sein. Flucht. Bleiben.
Spürt seine Hand auf ihrer Schulter.
»Komm mit«, sagt er.
Folgt ihm, die Sonne ist wieder zum Vorschein gekommen, ihre meterlangen Schatten spazieren ihnen voraus, der Weg steigt an. Der Hund schaut sich nach ihnen um, bellt. Wahrscheinlich sind sie ihm nicht schnell genug, vielleicht will er sich aber auch nur vergewissern, dass es ihnen gut geht, da sie ihm schließlich anbefohlen sind.
An einem Grab macht Arik halt.
Gräber, auf denen Schnee liegt, sind stets ein besonderer Anblick. Eigenartigerweise kommt es einem so vor, als fänden die Toten erst unter der weißen Decke richtig zur Ruhe.
Blumen schützen die Lebenden.
Schnee schützt die Toten.
»Die Zeit arbeitet gegen uns«, sagt Arik leise.
Yael liest die Inschrift.
Lily
»Du versuchst sie aufzuhalten, auszutricksen. Wie von Sinnen bekämpfst du sie, ringst ihr Verlängerungen ab. Vergebens. Eine Weile ist sie dein Verbündeter, am Ende immer dein Gegner.« Er sieht sie an. »Deine und meine Toten, Yael – wir konnten es nicht verhindern. Sosehr wir uns bemüht haben. Die Zeit arbeitet gegen uns, und sie entschuldigt nichts. Keinen Moment der Unaufmerksamkeit, keine verpasste Gelegenheit.
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