Brenda Joyce
oberen Treppenabsatz erreicht. Das
Kinderzimmer lag zu ihrer Rechten, doch sie wandte sich nach links, wo eine Tür
einen Spalt offen stand. Dahinter lag das Schlafzimmer, wie Francesca sehr wohl
wusste.
Es war falsch, was sie hier tat, aber ihre
Neugierde gewann die Oberhand. Francesca öffnete die Tür weiter und trat ein.
Der Anblick verschlug ihr den Atem. Leigh
Anne hatte die schlichte und schmucklose Ausstattung verändert: Das Zimmer war
jetzt in einem satten Goldton gestrichen, golden und rot gestreifte
Brokatvorhänge umrahmten das Fenster, das Bett zierte eine rote Paisley
Tagesdecke, und auf dem Boden lag ein goldfarbener chinesischer Teppich mit
Blumenmuster. Francesca begann heftig zu zittern. In der Luft lag der Geruch
von Leigh Annes Parfüm, ein berauschender, sinnlicher, kräftiger Duft, der sie
umfing.
Ihr Blick wanderte zum Ankleidezimmer, das keine Tür hatte.
Francesca erkannte einen roten, orientalischen Teppich und einen mit rotem Samt bezogenen Sessel. Der Frisiertisch
war der alte mit dem verschrammten Holz, doch darauf standen nun Parfümflakons,
eine hübsche silberne Dose, die vermutlich Puder enthielt, und Töpfchen mit
Wangen- und Lippenrouge. Dann fiel Francescas Blick auf etwas anderes.
An einem Haken neben dem Frisiertisch hing ein Kleidungsstück aus
hautfarbener Seide.
Tu das nicht, ermahnte sie sich.
Doch der Anblick zog sie unwiderstehlich an,
mit wenigen Schritten war sie bei dem Frisiertisch und nahm das Kleidungsstück
vom Haken. Es war ein durchsichtiges Nachthemd, und das Mieder bestand aus
schwarzer Spitze.
Francesca lieB das sinnliche Wäschestück, das offenbar mehr
zeigte, als es verbarg, los, als hätte es ihr die Hand verbrannt. Doch was
tatsächlich schmerzte, war ihr Herz.
Aufgebracht hastete sie aus dem Schlafzimmer und überquerte den
kurzen Flur. Sie hatte nur das bekommen, was sie verdiente. Es gehörte sich nun
einmal nicht, in den Zimmern anderer Leute herumzuschnüffeln. Braggs
Privatleben mit seiner Frau war seine Sache und ging sie nichts an.
»Fraka!«
Francesca blinzelte, als sie den vertrauten Ausruf vernahm. Und
dann sauste ein blonder Wirbelwind auf sie zu und Dot umklammerte ihre Knie und
kreischte: »Fraka! Fraka!«
Das war einfach zu viel – Francesca spürte, wie ihr
Tränen in die Augen traten. Sie bückte sich, um die Zweijährige auf den Arm zu
nehmen. »Hallo, mein Schatz«, murmelte sie und umarmte das Kind ganz fest.
Dot strahlte sie an. Sie hatte
etwas Engelhaftes an sich mit ihren blonden Locken und den großen, blauen
Augen.
Francesca erwiderte ihr Lächeln und wünschte, sie hätte eine Hand frei,
um sich die Tränen von den Wangen zu wischen. »Ich habe dich vermisst,
Kleines«, flüsterte sie.
»Dot feut«, krähte Dot, und die Grübchen auf ihren
Wangen vertieften sich. »Feut, feut!«
»Das
heißt, sie freut sich.«
Francesca blickte auf und sah eine düster dreinschauende Katie im
Türrahmen des Kinderzimmers stehen. Sie hatte die mageren Arme um ihren Leib
geschlungen. »Und wie geht es dir, Katie?«, rief Francesca eifrig.
Katie starrte sie nur vorwurfsvoll an, wandte sich ab und
verschwand wieder im Kinderzimmer.
Francesca wurde es schwer ums Herz. Katie verhielt sich mürrisch
und feindselig wie eh und je, wenigstens ihr gegenüber, und sie konnte sich
denken, warum. »Guten Tag, Mrs Flowers«, begrüßte sie die hochgewachsene Frau
mit der Brille, die aus dem Zimmer getreten war. Dabei nahm sie vage wahr, wie
Dot mit ihrem Haar spielte. Da die Kleine ihr unangenehm schwer wurde,
verlagerte Francesca ihr Gewicht, ohne darauf zu achten, dass das Kind noch
immer an ihrem Haar zupfte. Sie erwartete eine freundliche Erwiderung
auf ihren Gruß, doch Mrs Flowers kam nicht dazu, ihr zu antworten.
»Guten Tag, Francesca«, ertönte Leigh Annes
Stimme hinter ihr.
Francesca
fuhr herum.
Leigh Anne schenkte ihr ein knappes Lächeln. Wie immer sah sie
atemberaubend aus, und Francesca kam sich in ihrer Gegenwart wieder einmal plump und unbeholfen vor. Das Erste, was man an dieser Frau wahrnahm, war ihr
wunderschönes Gesicht – die makellose helle Haut, die schwarzen Wimpern, die smaragdgrünen Augen, die kleine Nase
und die vollen Lippen. Ihr langes, rabenschwarzes Haar war sorgfältig
aufgesteckt und bildete einen auffallenden, höchst wirkungsvollen Kontrast zu ihrem hellen Teint. Sie trug ein sehr schlichtes,
blassgrünes Seidenkleid, das an einer anderen Frau wohl trist ausgesehen hätte,
ihr jedoch stand es
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