Brenda Joyce
Francesca begann zu weinen. Die Tränen
strömten ihr nur so über das Gesicht und wollten einfach nicht mehr versiegen.
»Weinen Sie etwa wegen mir?«, fragte er
staunend.
»Ja-a«, stammelte sie. Dann fügte sie verlegen hinzu: Joel, ich
muss auf die Toilette.«
Sie kicherten beide, wodurch wenigstens die
Tränenflut gestoppt wurde. Dann sagte Francesca: »Wir müssen unbedingt zusehen,
dass wir hier herauskommen. Er könnte zurückkehren und uns beide töten.«
»Mich vielleicht«, erwiderte Joel und hockte
sich langsam auf seine Knie. »Aber Ihnen wird er kein Haar krümmen, denn dann
wäre der Teufel los.«
Francesca schöpfte wieder Hoffnung. Joel war am Leben, und
zusammen würde es ihnen gelingen, einen Ausweg aus dieser verzweifelten Lage zu finden. Außerdem hatte er wahrscheinlich
Recht – sollte MacDougal sie ermorden, wäre gewiss der Teufel los. Andererseits
war sein Auftraggeber ein Wahnsinniger, dem womöglich alles gleichgültig war.
Joel, den MacDougal an den Knöcheln nicht gefesselt hatte, stand
schwankend auf.
»Sei vorsichtig, du bist
verletzt!«, sagte Francesca besorgt.
»Ich hab schon Schlimmeres
erlebt.« Er trat auf die Werkbank zu. »Sehen Sie nur!«, rief er leise.
Als Francesca sah, dass er eine Säge in den gefesselten Händen
hielt, seufzte sie tief.
»Bitte sei
vorsichtig«, sagte sie, als er sich neben sie hockte und das Sägeblatt zwischen
ihre Handgelenke schob.
»Keine
Sorge, ich werd Ihnen schon nich die Hände absägen.«
Während er das Seil zersägte,
schlug Francesca das Herz bis zum Halse. Doch mit einem Mal waren ihre Hände
frei. »Gott sei Dank!«, sagte sie.
Innerhalb weniger Sekunden hatte Joel sie auch von den Fußfesseln
befreit. Francesca stand auf und sägte das Seil an Joels Handgelenken durch.
Als sie fertig war, schauten sie sich an.
»Und was
jetzt?«, fragte sie.
»Wir müssen hier raus«, erklärte Joel. Er
nahm ihr die Säge ab, legte sie aber nicht wieder zurück auf die Werkbank.
»MacDougal
hat die Tür abgeschlossen.«
»Ach ja?« Joel grinste herausfordernd. Er tastete auf der Werkbank
herum und fand schließlich ein langes, dünnes Werkzeug, das an einen großen
Zahnstocher erinnerte. »Kommen Sie, Miss.«
Sie folgte ihm erwartungsvoll die Treppe
hinauf. Joel reichte ihr die Säge – Francesca befürchtete, dass der Junge sie
im Ernstfall als Waffe benutzen wollte – und schob den Metallstift in das
Türschloss. Einen Augenblick später schnappte es auf, und Joel öffnete die Tür.
»Los geht's«, sagte er entschlossen.
Mit der Säge in der Hand eilten die beiden den
Korridor entlang. Zunächst sahen oder hörten sie niemanden, aber als sie um
die Ecke bogen und sich der Bibliothek näherten, vernahmen sie plötzlich Stimmen.
Und eine davon gehörte MacDougal.
Joel beschleunigte seinen Schritt. Offenbar
wollte er an der Tür zur Bibliothek, die nur angelehnt war, vorbeihuschen und
zur Haustür laufen. Francesca packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück.
Dann presste sie ihren Mund an sein Ohr und flüsterte beinahe unhörbar:
»Warte!«
Er warf ihr einen Blick zu und schüttelte
energisch den Kopf, doch Francesca ignorierte ihn und schob sich an der Wand
entlang Richtung Bibliothekstür. Mit wem auch immer sich MacDougal unterhielt,
sie war sich sicher, dass es sich um den Verrückten handeln musste, der Jonny
Burton entführt und möglicherweise ermordet hatte.
»Keine Sorge«, sagte MacDougal gerade. »Sie sind beide gefesselt.
Wir haben reichlich Zeit, um zu entscheiden, was mit ihnen geschehen soll.«
Reichlich Zeit, um zu entscheiden, was mit
ihnen geschehen soll! Francesca hätte beinahe
geräuschvoll nach Luft geschnappt – der Sprecher war niemand anderes als Robert Burton.
»Francesca
Cahill ist uns auf der Spur, MacDougal, und das nur wegen Ihrer
Stümperhaftigkeit! Ich kann mich ihrer nicht einfach wie einer streunenden
Katze entledigen.«
»Sie weiß
nichts von Ihnen, Sir«, sagte MacDougal. »Ich habe Sie mit keinem Wort erwähnt.«
»Nun, wenigstens das bisschen Intelligenz
haben Sie besessen. Verdammt! Was soll ich nur mit ihr anfangen?« Eine Pause
entstand. Dann fuhr er fort: »Sie glauben also, dass der Junge tot ist?«
»Jawohl, Sir.«
»Nun, immerhin haben wir dadurch ein Problem weniger – wenn auch
nur ein kleines.« Es wurde still.
Francesca war wie betäubt. Es ist Burton, dachte sie. Es ist
Burton, und er hasst entweder seine Frau oder er hasst Bragg, weil er weiß,
dass die Zwillinge
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