Brenda Joyce
fallen zu lassen, als
hätte sie glühend heißes Eisen berührt. Schiere Verzweiflung sprach aus ihren
Worten. »O bitte, Neil, erwähne meinem Vater gegenüber nicht, dass du mich in
diesem Aufzug gesehen hast!« Sie wusste, dass Andrew seiner Frau sofort alles
erzählt hätte.
Montrose ergriff ihren Arm. »So etwas dachte ich mir schon«, sagte
er mit finsterem Blick.
Francesca blickte auf seine große Hand hinab,
die er um ihr Handgelenk geschlossen hatte. Sie zitterte. Plötzlich schoss ihr
der Gedanke durch den Kopf, wie ungerecht das Leben doch war. Was, wenn sie die
ältere Schwester gewesen wäre?
»Bist du dir sicher, dass es dir gut geht? Hat dir jemand wehgetan?«,
fragte Montrose.
»Niemand hat mir wehgetan«, erwiderte sie, erstaunt über seine
Besorgnis.
Er nickte und schien erst jetzt
zu bemerken, dass er ihr Handgelenk festhielt. Sofort ließ er sie los und
errötete. »Francesca, du darfst so etwas nicht wieder tun.«
Sie starrte ihn an. Warum wurde er rot? Sie
wich einen Schritt zurück und verschränkte die Arme unter ihrem Busen. Sein
Blick folgte ihren Bewegungen.
»Werde ich auch nicht«, erwiderte sie vorsichtig. Wovon sprach er
bloß? Er konnte doch unmöglich wissen, was vorgefallen war! Sie beschloss,
mitzuspielen. »Nie wieder.«
»Ich möchte, dass du es mir versprichst«, sagte er mit fester
Stimme.
Francesca schwieg. Sie spürte, dass sie es nicht über sich brachte,
ihm ein Versprechen zu geben, das sie möglicherweise nicht würde halten
können.
»Großer Gott!«, rief er und hob in einer
hilflosen Geste die Hände. Dann ließ er sie wieder sinken und beugte sich zu
ihr vor. »Francesca, du bist noch sehr jung, und ich flehe dich an, auf mich zu
hören und dich nicht mehr mit ihm zu treffen, wer immer er auch sein mag.«
Es dauerte einen Moment, bis
Francesca die Bedeutung seiner Worte begriff. Sie blinzelte schockiert. Er
glaubte, ihre Verkleidung habe ihr dazu gedient, sich mit einem Liebhaber zu
einem Stelldichein zu treffen!
»Nun?«,
fragte er.
Francesca schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Neil, es ist nicht
so, wie du denkst.« Doch im selben Moment wurde sie sich bewusst, dass ihr Herz
heftig pochte. Im tiefsten Innern freute sie sich, dass er glaubte, sie habe
sich mit einem Mann getroffen. Vielleicht würde er sie fortan für eine
interessante Frau halten und nicht immer nur für Connies eigenartige kleine
Schwester, die in seiner Gegenwart keinen zusammenhängenden Satz zustande
brachte.
»Francesca! Wenn dieser ... Bastard ein
Gentleman wäre, würde er dir offen den Hof machen. Ich kann nur annehmen, dass
er eine schlechte Erziehung genossen hat und die schlimmsten Absichten hegt.
Sieh dich doch nur an!« Montroses Augen blitzten.
Gentlemen sprachen vor einer Dame gemeinhin nicht über solche
Dinge, und Francesca wurde klar, dass ihr Schwager aufrichtig um ihr Wohlergehen besorgt war. Sie wusste, dass sie seine
falschen Annahmen korrigieren sollte, doch stattdessen sagte sie spontan:
»Neil, ich werde mich niemals wieder mit meinem Liebhaber treffen.«
Als sie die Worte ausgesprochen hatte, wusste
Francesca nicht, wer schockierter war, er oder sie selbst. Lord Montrose starrte sie an, als habe sie griechisch gesprochen.
Was war nur in sie gefahren? Francesca
vermochte kaum klar zu denken. Es war doch absurd, dass sie ihn glauben machen wollte, sie habe tatsächlich ein Stelldichein
mit einem Liebhaber gehabt. Es war absurd, dass sie stolz war, weil ihr
Schwager sie für die Geliebte eines Mannes hielt.
»Nenn mir seinen Namen«, sagte er plötzlich.
Ihre Augen weiteten sich. »Wie bitte?«
Sein Lächeln war nicht gerade freundlich. »Jemand muss den Kerl zu
Brei schlagen. Und offenbar bin dieser jemand ich selbst.«
Francesca legte die Hand auf ihre Brust und starrte Montrose mit
offenem Mund an. Er wollte also ihrem vermeintlichen Liebhaber etwas antun, um
den Verlust ihrer Unschuld zu rächen? Francesca konnte es kaum fassen.
»Francesca, an dem Tag, als ich deine Schwester
geheiratet habe, wurdest du zu meiner Schwester. Ich denke, dass ich durchaus
das Recht habe, dir offen zu sagen, dass ich schockiert bin.«
»Es ist eigentlich gar nichts passiert«,
brachte Francesca hervor.
Er hob ihr Kinn mit der Hand an und zwang sie so, ihm in die Augen
zu sehen. Francesca blieb regungslos stehen.
Nach einer Weile ließ er sie los und nickte. »Ich lese die
Wahrheit in deinen Augen.«
Sie verspürte eine eigentümliche,
elektrisierende Spannung und
Weitere Kostenlose Bücher