Brenda Joyce
lächelte.
Diese Äußerung hinterließ bei Francesca nicht gerade ein Gefühl
der Erleichterung.
»Hoffentlich«,
murmelte sie.
Sie spürte, wie ihr vor Angst der Schweiß ausbrach, und rief sich
in Erinnerung, dass es um das Leben von Jonny Burton ging. Gordino wusste
wahrscheinlich, wer für die zweite Nachricht verantwortlich war, die Joel Bragg
an der Kreuzung von Mott und Hester Street übergeben hatte.
Zehn Minuten später bat Joel den Kutscher
anzuhalten. In der von Gaslaternen erleuchteten Straße, die auf den Boulevard
zulief, reihten sich Bars und Schenken sowie einige Etablissements von
offensichtlich zweifelhaftem Ruf aneinander. Als Francesca einen Blick auf ein
Fenster im ersten Stock eines der Häuser erhaschte, sah sie, dass sich in dem
hell erleuchteten Raum dahinter eine Vielzahl von leicht bekleideten Frauen
befanden.
»Ich
glaube, mir wird schlecht«, flüsterte sie.
»Bin gleich
wieder da«, sagte Joel. »Geben Sie dem Kutscher 'nen
Fünfer.« Er öffnete die Tür und sprang aus dem Einspänner.
Francesca tastete nach ihrer Geldbörse und reichte dem Fahrer die
Münzen. Ihre Knie zitterten vor Angst. Wie hatte sie sich nur auf eine solche
Situation einlassen können?
Plötzlich schmeckte sie wieder Gordinos Kuss,
und die Erinnerung daran war so lebendig, dass sie unwillkürlich zu würgen
begann. Beinahe hätte sie an die Glasabtrennung geklopft und den Kutscher
angewiesen, sie nach Hause zu bringen.
Doch dann sah sie im Geiste Jonny vor sich, der sie schelmisch
angrinste, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie musste diese
Angelegenheit einfach durchstehen!
Fünf Minuten vergingen. Dann weitere fünf. Und
noch einmal fünf. Francesca blickte aus dem Fenster zu dem hell erleuchteten
Eingang hinüber, durch den Joel verschwunden war. Warum dauerte es bloß so
lange? Ob dem Jungen etwas zugestoßen war?
»Miss«, unterbrach der Kutscher ihre Gedanken. »Ich kann hier
nicht die ganze Nacht stehen bleiben.«
»Es wird nicht mehr lange dauern«, brachte Francesca hervor und
reichte ihm einen weiteren Dollar.
Und plötzlich stand Joel draußen vor der Kutsche, die Hände in
den Manteltaschen vergraben, die Schultern gegen die Kälte hochgezogen.
»Gordino ist wohl da drin«,
sagte er. »Aber er will nich rauskommen. Er spielt Poker und will mit keinem
reden.«
Francesca atmete tief durch und
stand auf. »Dann werde ich wohl hineingehen müssen.«
Doch bevor sie einen Fuß auf den gefrorenen
Boden setzen konnte, zupfte Joel sie am Ärmel. »Ich weiß
nich so recht, Miss Cahill. Das hier ist kein so piekfeiner Laden. Vielleicht
sollten wir einfach abwarten, ob er später rauskommt.«
Francesca überlegte hin und her. Sie musste
unbedingt vor ihren Eltern zu Hause sein – und sie bezweifelte, dass diese sehr
viel später als Mitternacht zurückkehren würden. Die Zeit lief ihr davon.
»Ich werde noch zehn Minuten warten«, entschied Francesca
schließlich.
Joel nickte und sprang wieder in die Kutsche. Der Kutscher
verlangte mehr Geld, und Francesca reichte ihm einen weiteren Silberdollar.
Fünf Minuten später betrat Joel erneut die
Schenke, während Francesca gegen den plötzlichen Drang ankämpfen musste, ein
gewisses Örtchen aufzusuchen. Sie zitterte inzwischen, denn die Kutsche war
nicht beheizt. Draußen herrschten kaum mehr als fünf Grad, und dazu blies ein
frischer Wind. Joel kehrte umgehend zurück.
»Wir sollten besser morgen wieder kommen«, sagte er. »Er spielt
immer noch Poker, Miss Cahill. Er wollte nich mal mit mir reden.«
Francesca befeuchtete ihre Lippen. Sicher wäre es besser gewesen,
am nächsten Tag noch einmal zurückzukehren, doch da konnte Jonny schon tot
sein.
»Ich werde hineingehen.« Sie reichte dem
Kutscher fünf Dollar. »Warten Sie auf uns, egal, was auch passiert. Es wird
nicht lange dauern«, wies sie ihn an.
»Geht klar«, erwiderte der Mann lächelnd.
Francesca stieg aus der Kutsche und rutschte
sogleich auf dem Eis aus. Vorsichtig strebte sie auf den Eingang der Schenke
zu. Joel blickte nicht besonders glücklich drein, als er die Tür für sie
öffnete.
Drinnen empfing Francesca ein Schwall warmer
Luft, was sie zunächst als angenehm wahrnahm. Doch dann blieb sie wie
angewurzelt stehen und sah sich um. Der Raum war voller Männer aus dem
Arbeitermilieu, und keiner von ihnen wirkte besonders vertrauenserweckend in
seinem Benehmen. Im Gegenteil, die meisten Gäste an dem grob gezimmerten
Tresen oder an den Tischen waren ganz offenbar
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