Brenda Joyce
ihr Hinterteil. Sie zitterte, und
die Tränenspuren auf ihrem Gesicht waren gefroren. Langsam erhob sie sich,
schlang die Arme um sich und schritt ins Haus. Es war, als habe sich eine
große, schwere Last auf ihre Schultern gelegt.
Immer und immer wieder stellte sie sich die
Frage, ob ihre Schwester wohl wusste, dass Montrose ein Verhältnis mit Eliza
hatte. Mit einem Mal erstarrte sie. Sollte sie Connie erzählen, was sie
beobachtet hatte? Die schonungslose, brutale Bedeutung dieser Frage überfiel
sie mit aller Macht, und vor Schreck vergaß Francesca beinahe zu atmen. Was
sollte sie nur tun?
»Francesca«, ertönte in diesem Augenblick
Julias Stimme. Francesca sah ihre Mutter in einem wunderschönen malvenfarbenen
Kostüm und mit einem entschlossenen Schritt, den sie nur allzu gut kannte, auf
sich zukommen. Sie betete im Stillen um eine kleine Atempause, obgleich sie
wusste, dass man sie ihr nicht gewähren würde.
Als Julia ihrer Tochter ins Gesicht schaute, veränderte sich ihr
scharfer Tonfall.
»Francesca?«, wiederholte sie erstaunt und
blieb vor ihr stehen. »Bist du krank? Hast du ... hast du etwa geweint?«
Francesca wandte sich ab, zog Mantel und Hut aus und reichte beides zusammen
mit ihren Handschuhen einem Dienstboten. Sie wischte sich mit dem Ärmel über
das Gesicht.
»Mir ist nur kalt. Ich bin zu Fuß nach Hause gekommen«, erwiderte
sie kurz angebunden.
Julia legte ihrer Tochter die Hand unter das
Kinn und betrachtete sie forschend. »Was ist los, Francesca? Du hast geweint,
das sehe ich doch.«
Francesca wollte einfach keine passende
Antwort einfallen, und mit einem Mal fragte sie sich, ob Julia wohl Bescheid
wusste. Schließlich wusste ihre Mutter immer alles, sie war die Königin der New
Yorker Gesellschaft. Andererseits hätte sie
es gewiss niemals geduldet, dass Montrose seine Affäre fortsetzte, wenn sie
davon erfahren hätte. Francesca hegte keinen Zweifel daran, dass Julia die
richtigen Fäden ziehen würde, um Montrose nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen –
wobei sicherlich auch Geld eine Rolle spielen würde. Das Vermögen der Familie
Montrose war schon vor Generationen verprasst worden, seine Familie war verarmt
und besaß kaum noch Land. Im Grunde war ihnen nur der Adelstitel geblieben.
Montrose lebte mit von Connies riesigem Vermögen, das sie bei ihrer Heirat
geerbt hatte. Dennoch war es eine Liebesheirat gewesen. Oder etwa nicht?,
dachte Francesca verwirrt.
»Ich fühle mich nicht so gut«, sagte sie schließlich. »Ich war bei
Sarah Channing und bin durch den Park spaziert. Mir ist schrecklich kalt.«
Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme sonderbar.
Julia zögerte, und Francesca befürchtete
schon, sie würde sie der Lüge bezichtigen, doch ihre Mutter sagte nur: »Dann
solltest du nach oben gehen und dich ins Bett legen. Vielleicht fühlst du dich
in ein paar Stunden wieder besser. Wir haben für heute Abend die ganze Familie
zum Abendessen eingeladen. Connie, Montrose, die beiden Mädchen und natürlich
Sarah Channing und ihre Mutter.«
Francesca wurde bang ums Herz. Wie sollte sie
es nur ertragen, Montrose beim Abendessen gegenüberzusitzen? »Ich bin mir
nicht sicher, ob ich am Essen teilnehmen kann, Mama, ich glaube, ich fiebere«,
erwiderte sie.
Julia legte ihre zierliche Hand auf Francescas Stirn. »Du bekommst
doch sonst nie Fieber«, sagte sie beunruhigt. »Ich mache mir Sorgen um dich,
Francesca. Und das schon seit einigen Monaten.«
Bei diesen Worten wäre Francesca beinahe
wieder in Tränen ausgebrochen. Wenn ihre Mutter jetzt darauf zu sprechen kam,
dass sie ständig das Haus verließ, wäre ihr vor Kummer sicher keine gute
Ausrede eingefallen.
»Das musst du nicht, es wird mir bald wieder
gut gehen«, antwortete sie. Und das entsprach der Wahrheit. Sie würde sich von
dem Schock erholen, denn es war ja nicht ihr Herz, das gebrochen worden war. Es
war das Herz ihrer Schwester, das brechen würde, sollte sie jemals von dem
Verrat ihres Mannes erfahren.
»Francesca!«
Francesca, die schon auf dem Weg zur Treppe war, verharrte. »Ja?«
»Wir werden die Angelegenheit mit meinem Silber besprechen, wenn
es dir wieder besser geht.«
Francesca erwiderte mit
zittriger Stimme: »Danke, Mama.« Julia lächelte sie an, aber der besorgte
Ausdruck in ihren Augen war nicht verschwunden. Sie drehte sich um und verließ
die Eingangshalle.
Francesca stützte sich auf das Geländer und
schloss für einen Moment die Augen. Hinter den Schläfen spürte sie
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