Brenda Joyce
Bragg ab und
starrte durch das Fenster auf die vorüberziehende Straße hinaus. Sie hatten
beinahe die Grand Army Plaza an der Südspitze des Central Park erreicht.
Francesca versuchte, sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren und
nicht daran zu denken, dass Bragg, obgleich er einen müden und gedankenverlorenen
Eindruck machte, dennoch unbestreitbar eine besondere Ausstrahlung besaß und
einen großen Reiz auf sie ausübte. Plötzlich empfand sie es im Inneren der
Kutsche als beinahe unerträglich warm.
»Francesca? Sie sind heute Abend so ruhig.« Braggs leise Stimme
unterbrach ihre Gedanken.
Francesca wandte sich ihm zu, und ihre Blicke begegneten sich.
Seine Augen funkelten in dem dürftigen Licht der Straßenlaternen, das in die
Kutsche drang.
»Es ist ein langer Tag gewesen«, erwiderte
sie ebenso leise und vermochte ihren Blick nicht mehr von ihm abzuwenden.
»Ja, das stimmt wohl.« Sie vermutete, dass er
gerade an ihren Besuch bei Joel dachte, als sie den Jungen für die Aufgabe an
diesem Abend gewonnen hatte. Natürlich hatte Joel keine Ahnung, dass ihnen
dieses Mal Bragg und ein gutes Dutzend Männer folgen würden. Francesca hatte
sich damit abgefunden, den Jungen zu hintergehen. Es schien angesichts des
Durcheinanders, das plötzlich in ihrem Leben entstanden war, keine Rolle mehr
zu spielen.
»Hoffentlich sacken wir ihn heute ein. Dann werde ich ihn in die
Zange nehmen, damit er uns zu diesem Verrückten führt, der sich solche Mühe
gibt, die Burton zu zerstören.« Bragg blickte grimmig drein.
Francesca dachte für einen Moment über seine
Worte nach. »Was meinen Sie mit »hoffentlich sacken wir ihn ein«, Bragg?«
Er warf ihr einen Blick zu. »Mit »einsacken« meine ich einsperren.«
»Und was bedeutet
»Knast«?«
Er
verschränkte die Arme vor der Brust, und sie konnte erkennen, dass sein Gesicht
für einen Moment einen amüsierten Ausdruck annahm. »Das ist nur ein
umgangssprachlicher Ausdruck für »Gefängnis« oder »Zuchthaus«.«
»Verstehe.«
Der arme Joel. Offenbar hatte
er im Gefängnis gesessen. »Ihr kleiner Freund?«, fragte Bragg.
»Ja.«
»Lassen Sie
uns noch einmal den Plan durchgehen«, sagte er leise. Auch wenn kein
Grund dafür bestand, führten sie ihre Unterhaltung mit gedämpften Stimmen.
Francesca nickte.
»Sie gehen hinein und schauen nach, ob Gordino
da ist. Danach verlassen sie das Lokal sofort wieder. Sie heben ihre Hand, als wollten
sie eine Droschke heranwinken. Das ist das Signal für mich und meine Männer,
das Lokal zu betreten.«
Francesca nickte wieder. »Und wenn er nicht da ist, gehe ich auch
sofort wieder, tue aber nichts, wenn ich wieder auf der Straße bin.«
»Genau.« Bragg wandte den Kopf ab, um aus dem Fenster zu schauen.
Dann blickte er erneut Francesca an.
»Es gefällt mir ganz und gar nicht, Sie in so etwas hineinzuziehen«,
sagte er heftig.
Sie schwieg einen Moment lang.
Seine Worte machten sie nervös und erfüllten sie zugleich mit eigentümlicher
Freude. »Mir wird schon nichts passieren«, flüsterte sie dann. »Natürlich
nicht. Dafür werde ich sorgen.« Er wandte sich wieder dem Fenster zu.
Das Bewusstsein, dass Bragg sie unter allen
Umständen davor bewahren würde, dass Gordino oder seinesgleichen ihr
irgendeinen Schaden zufügten, erfüllte Francesca mit Freude. Sie drehte den
Kopf ein wenig zu Seite, um Braggs klares Profil und die ausgeprägte Linie
seines Kiefers zu studieren. Selbst in seiner Verkleidung wirkte er noch wie
ein wohlhabender, mächtiger Mann. So würde er niemanden lange an der Nase
herumführen.
Doch dann fiel ihr ein, dass er als ein unehelich geborenes Kind
möglicherweise gar nicht wohlhabend war. Natürlich spielte seine Herkunft für
sie keine Rolle mehr, nicht nach allem, was sie bislang zusammen erlebt hatten.
Aber – was genau hatten sie denn eigentlich zusammen erlebt? Bei diesem
Gedanken begann Francesca zu zittern. Sie fragte sich, wie es wohl seinerzeit
zu der Affäre zwischen Bragg und Eliza gekommen war.
Unvermittelt malte sie sich aus, wie es wäre,
in den Armen dieses Mannes zu liegen und von ihm geküsst zu werden. Doch sofort
rief sie sich in Gedanken wieder zur Ordnung. Du liebe Güte, sie nahm gerade an
einer polizeilichen Ermittlung teil! Jetzt war nun wirklich nicht der richtige
Zeitpunkt, um sich Bragg als ... als ... ja, als was denn eigentlich
vorzustellen?
In gewisser Weise hatten sie wohl
Freundschaft geschlossen, aber Francesca beschlich das Gefühl, dass
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