Brenda Joyce
eines Blickes, das wusste Francesca ganz sicher. Sein Interesse galt
ausschließlich verheirateten Damen und halbseidenen Mädchen, mit denen er sich
amüsieren konnte. Gott allein wusste, warum er die Einladung, bei den Cahills
zu Abend zu essen, überhaupt angenommen hatte.
»Was schaust du so finster drein?« Julia musterte ihre Tochter
scharf. »Wir haben eine Vereinbarung – ich bin sicher, dass du sie nicht
vergessen hast.«
»Ich habe sie nicht vergessen.«
Julia lächelte wohlgefällig. »Als Maggie
Kennedys Leben bedroht war, habe ich mich bereit erklärt, sie und ihre vier Kinder hier
unter meinem Dach zu beherbergen, obwohl das eine Gefahr für alle hier im Haus
bedeutete.« Ihr Blick ruhte auf Francescas verbundener Hand. »Im Gegenzug hast
du eingewilligt, dass ich den Verehrer meiner Wahl für dich aussuche, und du sagtest, du würdest
dulden, dass er dir den Hof macht. Womöglich wird aus dir am Ende doch noch
eine Dame, wie Connie eine ist«, fuhr Julia fort. »In der Gesellschaft beliebt
und angesehen, wohltätig und glücklich verheiratet, mit einem Kind oder
zweien.«
Francescas Brust krampfte sich zusammen. »Mama, bitte hör auf mit
diesem lächerlichen Versuch, mich unter die Haube zu bringen. Du weißt doch
selbst, in welchem Ruf Hart steht. Du wirst ihn niemals dazu bringen, mir einen
Antrag zu machen, und ohnehin würde ich ihn nicht annehmen.«
Julias Gesichtsausdruck erinnerte an eine fette alte Katze, die gerade
die eine oder andere Maus verspeist hatte. »Meine Liebe, auch für einen
Lebemann kommt einmal der Tag. Nun sage mir, wo kann ich die Braggs erreichen,
um sie zum Abendessen einzuladen?«
Francesca war elend zumute. »Mama, bitte lade
sie nicht für Sonntag ein. Es wäre einfach zu viel ... wirklich.« Vergebens
versuchte sie, sich ein Lächeln abzuringen. Sie konnte sich keine schlimmere
Situation vorstellen, als dass Julia in Gegenwart von Rathe und Grace Bragg
versuchte, sie mit Calder zu verkuppeln. Zudem gingen ihr Lucys Bemerkungen
nicht mehr aus dem Sinn.
»Warum sollte es denn zu viel sein, Francesca? Weil Rathe Bragg der
Vater des Commissioners ist?«
Francesca hatte das Gefühl, ihr würde der Boden unter den Füßen
weggezogen. »Was soll das heißen?«, fragte sie vorsichtig. »Es soll heißen,
dass ich weder blind noch dumm bin«, versetzte Julia trocken. »Deine
Leidenschaft ist allzu offensichtlich, aber ich bin sicher, dass du darüber
hinwegkommen wirst – erst recht, da du ja nun weißt, dass er verheiratet ist.
Selbst du – die starrsinnigste Person, die ich mir vorstellen kann – wirst doch
nicht so töricht sein, dich an deine vergeblichen Hoffnungen auf einen verheirateten Mann zu
klammern. Ich werde dir ein Tablett mit etwas zu essen heraufbringen lassen«,
verkündete sie abschließend.
Francesca sprang auf. Ihre Mutter wusste
Bescheid? In diesem Moment begriff sie, dass alles verloren war.
SAMSTAG, 15. FEBRUAR 1902 – 9 UHR
»Francesca! Was
hat denn das zu bedeuten? Solltest du um diese Zeit nicht zu Hause sein?«, rief
Montrose mit Nachdruck aus. Francesca lächelte ihren Schwager atemlos an,
während sie eintrat. Nicht nur, dass es ihr am Abend zuvor nicht gelungen war,
Bragg von dem Vorfall bei den Channings in Kenntnis zu setzen, sie war
außerdem gleich nach der Unterredung mit ihrer Mutter in einen Komaähnlichen
Schlaf gefallen und erst vor einer Stunde wieder erwacht. Ihre
verbrannte Hand schwächte sie noch immer in ungewohnter Weise.
Doch die durchgeschlafen Nacht hatte Wunder bewirkt Francesca
steckte wieder voller Tatendrang. Sie brannte darauf, die Ermittlungen im Fall
Channing fortzusetzen. Zuerst musste sie mit ihrer Schwester sprechen, und
gleich anschließend würde sie in die Innenstadt fahren, um Bragg zu berichten,
was sich bei den Channings ereignet hatte.
»Bitte, schick mich nicht fort – ich brauche ganz dringend Connies
Rat«, erklärte sie. Beim Aufwachen war ihr erster Gedanke gewesen, dass sie es
irgendwie fertig bringen musste, sich vor dem Abendessen am Sonntag zu drücken.
Ihr graute entsetzlich vor diesem Abend, doch sie konnte es sich unmöglich
erlauben, ohne triftigen Grund nicht zu erscheinen. Connie hatte gewiss einen
Rat für sie.
Connie und Montrose wohnten nicht weit von Francescas Elternhaus,
an der Kreuzung von Sixty-second Street und Madison Avenue. Das Haus war ein
Hochzeitsgeschenk von Andrew gewesen, der es während der einjährigen Verlobungszeit
seiner Tochter hatte planen und bauen
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