Brenda Joyce
zwei Jahre her.«
Francesca stellte fest, dass die Akte Van Arke
im April 1900 angelegt und im Monat darauf geschlossen worden war. Die Adresse
der Frau fiel ihr ins Auge – 250 Fifth Avenue. Das musste ein älteres Haus
sein, tief im Süden der Stadt und mittlerweile sicher von Geschäften und
kleineren Läden umgeben. »Wann wurde Craddock aus Fort Kendall entlassen?«,
erkundigte sich Francesca.
»Offenbar ist er '96 rausgekommen.« Shea blinzelte. »Eingebuchtet
wurde er aber '88. Kommt man neuerdings wegen Erpressung für acht Jahre nach
Kendall, Tom?«
»Muss eine ganze Menge mehr als Erpressung
gewesen sein.«
»Entweder das, oder er hat sich da oben gründlich danebenbenommen«,
vermutete Shea kopfschüttelnd.
»Könnte ich mir wohl eine Abschrift dieser Akte anfertigen?«,
erkundigte sich Francesca. Das Dokument enthielt einfach zu viele wertvolle
Informationen. »Und ist das dort seine letzte bekannte Adresse? 18 Allen
Street?«
Shea wollte gerade zustimmen, doch plötzlich erstarrte er.
Francesca spürte, dass jemand hinter ihr stand. Erschrocken fuhr
sie herum.
Brendan Farr, der neue Polizeichef von New York City, lächelte sie
an, wobei seine stahlgrauen Augen jedoch keineswegs heiter wirkten.
»Chief«, hauchte Francesca und wich einen Schritt zurück. Gleich
darauf setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf. »Guten Morgen«, brachte sie
heraus.
Farrs Blick glitt wie beiläufig an ihr vorbei zu der Kladde mit
den Verbrecherfotos und der Akte, die beide aufgeschlagen dalagen. »Guten Morgen,
Miss Cahill. Welche Überraschung, Sie an einem solch herrlichen Sonntagmorgen
hier auf dem Polizeirevier anzutreffen.« Er musterte sie eingehend von oben
bis unten auf eine Art, wie ein Mann, der kein Gentleman war, eine Frau
musterte, die keine Dame war.
Francesca schluckte und versuchte sich
einzureden, sie sei diesem Mann gewachsen und bräuchte sich nicht
einschüchtern zu lassen. Dennoch verunsicherte er sie. »Ich warte auf den Commissioner«,
log sie. »Und ich habe mich gerade ein wenig mit Ihren Leuten unterhalten.«
Sie rang sich erneut ein gekünsteltes Lächeln ab.
Es blieb wirkungslos. »Das sehe ich.« Der Chief war ein auffallend
großer Mann Ende vierzig, kräftig gebaut, mit grauem Haar und grauen Augen. Er
trat neben Francesca und betrachtete erst das Verbrecherfoto, dann die Akte.
»Mir scheint, Sie stöbern da in Polizeiunterlagen, Miss Cahill.«
Francesca warf einen nervösen Blick zu Shea. »Ich arbeite an einem
Fall und habe um ein wenig Hilfe gebeten. Ich hoffe, das war in Ordnung?«, entgegnete
sie bemüht freundlich. Doch insgeheim bezweifelte sie, dass sich dieser Mann
mit Nettigkeit umgarnen lassen würde.
Farr schlug erst das Buch zu,
dann die Akte. »Nein, ich fürchte, das ist nicht in Ordnung, Miss Cahill.
Polizeiangelegenheiten sind, wie der Name schon sagt, Angelegenheiten der
Polizei.«
Francesca hatte sich so sehr
verkrampft, dass ihr Nacken zu schmerzen begann. »Es geht mir nicht um
Polizeiangelegenheiten. Ich habe eine Klientin, die mich um Hilfe gebeten
hat.«
Farr lächelte, doch es war kein
freundliches Lächeln. »Und ich habe eine Polizeibehörde zu leiten. Bei uns gibt
es Regeln und Vorschriften. Polizeiliche Akten sind vertraulich. Habe ich mich
klar ausgedrückt?«
Sie nickte. »Es tut mir Leid, wenn ich etwas Unerlaubtes getan
habe. Das war mir nicht bewusst.«
»Nun ist es Ihnen bewusst.« Er lächelte wieder sein freudloses
Lächeln, das die Augen nicht erreichte. »Vielleicht sollte Ihre Klientin ihre
Anfragen lieber direkt an die Polizei richten«, fügte er leise hinzu.
Francesca fiel keine passende Antwort ein. Schließlich murmelte
sie kleinlaut: »Ich werde es ihr vorschlagen.«
»Gut.«
»Sir?«, mischte sich Shea
nervös ein. »Miss Cahill ist eine gute Freundin des Commissioners, und er lässt
ihr hier freie Hand.«
Francesca zuckte innerlich
zusammen. Wie sich das anhörte!
»Mir ist durchaus bewusst, wie
nahe Miss Cahill unserem Commissioner steht«, versetzte Farr süffisant. Sollte
das etwa eine Anspielung sein? Francesca argwöhnte es. Sie hielt Farr für einen
Mann, der sich nichts vormachen ließ. »Aber Regeln sind nun einmal Regeln, und
wir legen unsere Informationen nicht gegenüber Zivilpersonen offen, Shea.«
»Jawohl, Sir. Es tut mir Leid, Sir«, erwiderte Shea, als sei er
beim Militär.
»Sorgen Sie dafür, dass das nicht wieder vorkommt.« Farr musterte
mit eisigem Blick erst ihn und anschließend Tom. »Sollten Sie
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