Brenda Joyce
dieses Porträt gemalt
hat.«
»Eine unbekannte Künstlerin«,
erwiderte er. »Sie wurde mir von einem meiner Gäste hier empfohlen.«
Francesca bekam es für einen Moment mit der
Angst zu tun – bestand die Möglichkeit, dass es sich bei diesem Gast um ihren
Bruder handelte? Falls ja, bestünde damit eine Verbindung zwischen ihm und
jeder Frau, die mit diesem Fall zu tun hatte, ob sie lebendig oder tot war oder
vermisst wurde. »Handelt es sich bei der Künstlerin um Melinda Neville?«,
fragte sie mit gepresster Stimme.
»Ja. Woher wussten Sie das?« Er schien
überrascht.
Sie weigerte sich, ihm irgendetwas zu erklären. »Und wie, bitte
sehr, haben Sie von ihr erfahren, Mr. LeFarge?«
Er betrachtete sie forschend. »Nun, ihr Bruder zählt zu meinen
Gästen und er erwähnte, seine Schwester sei Malerin und kürzlich aus Paris
zurückgekehrt.« Er zuckte mit den Schultern.
Sie erhob sich. »Thomas Neville ist Gast in
Ihrem Club?«
»Ja. Er ist beinahe jeden Abend hier.«
Sie starrte ihn an und ihre Gedanken
überschlugen sich. Das Puzzle wurde immer verwirrender. Wo mochte dieses Stück
nun hineinpassen? »Kennt er meinen Bruder Evan?«
»Das möchte ich annehmen. Ihr Bruder besucht mein Etablissement ja
auch beinahe jeden Abend.«
Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Evan kannte Melinda
Neville nicht – oder war sich zumindest nicht bewusst, sie zu kennen. Aber er
war mit Thomas bekannt. Und das wiederum bedeutete, dass Evan nach wie vor die einzige
Verbindung zwischen sämtlichen vier Frauen darstellte. Oder nein, nicht die
einzige – dasselbe traf auf Hoeltz zu. Er hatte Sarah gekannt und war durch
Melinda sicherlich auch sowohl mit Grace Conway als auch mit Catherine Holmes
bekannt gewesen. Und wie verhielt es sich mit Thomas Neville? Francesca kam
nach kurzem Überlegen zu dem Schluss, dass er lediglich mit drei der vier
Frauen in Verbindung gebracht werden konnte, denn er kannte Sarah Channing
nicht.
Und auch wenn man LeFarge wohl kaum als großgewachsenen Mann
bezeichnen konnte, schloss Francesca doch auch ihn nicht als Verdächtigen aus.
Er war die Sorte Mann, die Schurken anheuerte, um die Drecksarbeit für sie zu
erledigen. Möglicherweise hatte er es auf Sarah und Grace Conway abgesehen, um
Evan zu drohen, und der Mord an Catherine Holmes und das Verschwinden von
Melinda Neville waren bloße Zufälle.
Francesca seufzte. Es schien, als seien sie der Lösung des Falles
nicht näher, als sie es vor vier Tagen gewesen waren. »Wissen Sie, wo sich Miss
Neville aufhält?«
»Wieso sollte ich? Warum
stellen Sie mir diese Frage?«
»Sie ist verschwunden. Es wäre
sehr hilfreich, sie so schnell wie eben möglich zu finden.«
»Miss Cahill, diese Frau hat vor über einem
Jahr das besagte Porträt von mir angefertigt. Wir haben kaum ein Wort
miteinander gewechselt, außer wenn sie mich bat, meinen Kopf zu drehen oder
meine Körperhaltung zu verändern. Sie war kühl, sehr ernst und gänzlich in
ihre Arbeit vertieft. Wieso sollte ich wissen, wo sie sich aufhält? Wäre es
nicht sinnvoller, Thomas diese Frage zu stellen?« Seine dunklen Augen hatten
nun einen harten Ausdruck angenommen, der sie daran erinnerte, wozu dieser Mann
fähig war.
»Ich würde Thomas nur zu gern noch einmal befragen«, erwiderte
sie.
»Warum tun Sie es dann nicht
gleich?«, versetzte LeFarge lächelnd.
Francesca
erstarrte. »Wie bitte?«
»Warum fragen Sie Thomas
Neville nicht? Er hält sich zurzeit im oberen Stockwerk auf«, sagte LeFarge.
Kapitel 19
SAMSTAG, 22. FEBRUAR 1902 – 18:00 UHR
Connie tat einen
tiefen Atemzug, um Mut zu schöpfen, doch es half nichts. Neil verachtete sie
nun ganz gewiss. Keine Dame hatte sich jemals so verhalten, wie sie es getan
hatte. Sie hatte schreckliche Angst, dass ihre Ehe damit beendet war.
Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand offen. Er saß an seinem
großen Schreibtisch, in seine Papiere vertieft. Sie betrachtete ihn für einen
Moment, und ihr Herz pochte dabei so heftig, dass sie sich krank und schwach
fühlte.
Was er getan hatte, war falsch gewesen. Aber sie war auch nicht
ganz unschuldig daran, da sie einem so virilen Mann sein Vergnügen vorenthalten
hatte. Falls es ihnen nun gelingen sollte, einen Schritt nach vorn zu tun,
würde sie sich ihm niemals wieder verweigern. Und bei dem Gedanken daran, in
seinen Armen zu liegen, klopfte ihr Herz noch heftiger.
Es war schon so lange her.
Sie spürte eine Träne auf ihrer Wange. Sicher würde sie niemals
wieder in
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