Brenda Joyce
Grund, mich zu bedauern, da ich sie nicht ausstehen kann und
es vorziehe, getrennt von ihr zu leben. Es ist wohl bedauerlich, dass sie einen
Großteil meines Geldes ausgibt, aber das ist nun einmal nicht zu ändern.« Mit
finsterem Blick rammte er beide Hände in die Taschen seiner Hose.
Francesca fielen ein Dutzend Fragen ein, die
sie ihm gern gestellt hätte. Ob er noch etwas für seine Frau empfand. Ob sie
immer noch einen Liebhaber hatte. Ob er wohl eine Scheidung in Erwägung ziehen
würde. Sie befeuchtete ihre Lippen und fragte vorsichtig: »Aber Sie sind doch
nach Washington gegangen. Ich meine mich an einen Zeitungsartikel erinnern zu
können, in dem zu lesen stand, dass Sie vor Ihrem Amtsantritt in der Hauptstadt
als Anwalt praktiziert haben.«
»Ich habe mir in Boston einen Partner gesucht
und die Kanzlei in seine fähigen Hände übergeben. Dann bin ich nach Washington
gezogen, um dort die gleiche Arbeit zu tun, aber auch, um mich in meiner
Freizeit der Politik zu widmen. Wie Sie wissen, ist mir der Dienst an der
Allgemeinheit ein wichtiges Anliegen, Francesca.«
Sie nickte. »Ihr Vater
bekleidete auch schon ein Amt während der ersten Regierungzeit von Grover
Cleveland, nicht wahr?« Er schenkte ihr ein erfreutes Lächeln. »Ja, das stimmt.
Er war Handelsminister. Ich habe meine ersten gemeinsamen Jahre mit Rathe und Grace
in Washington verbracht.«
Ganz offensichtlich waren es schöne Jahre gewesen. Francesca
erwischte sich dabei, dass sie sein Lächeln unwillkürlich erwiderte. »Warum
ist Ihre Frau denn nicht zurückgekommen? Warum kommt sie jetzt nicht zurück?«
»Ich bin noch immer kein vermögender Mann, Francesca«, entgegnete
er gelassen. »Ich habe auch in Washington keine lukrativen Fälle übernommen.
Und die Arbeit als Polizei-Commissioner wird sehr schlecht bezahlt, wie Sie
sicherlich wissen.«
Francesca konnte einfach nicht verstehen, wie
eine Frau derart von der Gier nach Reichtum und Macht getrieben werden konnte.
Nicht anders verhielten sich die vielen Debütantinnen, die in ihren
gesellschaftlichen Kreisen auf der Suche nach einem Ehemann mit Geld oder Titel
waren. »Vielleicht wird ihr eines Tages ja doch noch ein Licht aufgehen«,
bemerkte Francesca.
Er sah sie mit seinem durchdringenden Blick an. »Ich will diese
Frau nicht hier haben, weder jetzt noch sonst irgendwann.«
»Sie würden ihr also niemals vergeben?«
»Ich könnte ihr vielleicht ihre ganzen Liebhaber vergeben. Ich
könnte ihr vielleicht vergeben, dass sie jeden Cent, den ich verdiene, zum
Fenster hinauswirft. Ja, ich könnte ihr tatsächlich alles vergeben, denn sie
hat einen schwachen Charakter. Aber ich werde mir niemals vergeben, dass
ich durch diese Ehe mein Leben ruiniert habe. Denn ich habe sie nie wirklich
geliebt, und – was noch viel schlimmer ist – ich habe keinen Respekt vor ihr.
Wir haben nichts, aber auch gar nichts gemein. Getrennt zu leben ist die beste
Lösung für zwei Menschen, die so gar nicht zusammenpassen.«
Francesca musste unwillkürlich an Connie und Montrose denken und
befand, dass diese beiden eigentlich wunderbar zusammenpassten.
»Hassen Sie mich jetzt, Francesca?«
Diese leisen und doch mit fester, ganz und gar nicht zögerlicher
Stimme gesprochenen Worte unterbrachen ihre Gedanken. Sie blickte in seine Augen und spürte, dass ihr Herz diesem Mann
immer noch vertraute. Es schien einen eigenen Willen zu besitzen und schlug
erfüllt von Mitgefühl, Verständnis und Liebe in ihrer Brust. »Ich könnte Sie
niemals hassen«, hörte sie sich sagen.
In der darauf folgenden Stille nahm sie eine Anspannung wahr, die
nichts mehr mit Enttäuschung und Wut zu tun hatte. Francesca stand atemlos und
ungläubig da. Bragg hatte ihr soeben gestanden, dass er verheiratet war, und
dennoch war sie immer noch hier, und an ihren Gefühlen für ihn hatte sich
nichts verändert. Er war noch immer der Mann, den sie bewunderte, respektierte,
dem sie vertraute, den sie liebte. Er war der Mann, den sie wollte, und das mit
Leib und Seele.
»Ich sollte jetzt besser gehen«, sagte sie
nach einer Weile.
»Ja, das sollten Sie«, stimmte er ihr zu.
Francesca wandte sich um. Blind von den Tränen, die ihr plötzlich
wieder in die Augen geschossen waren, schritt sie vor ihm auf die Tür zu. Doch
bevor sie sie öffnen konnte, drückte er mit seiner Hand dagegen. Francesca
erstarrte.
»Ich kann Sie jetzt nicht so einfach gehen lassen«, sagte er mit
rauer Stimme.
Sie drehte sich um und war ihm so nahe, dass
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