Brenda Joyce
de
Labouches Hilferuf folgte. Doch jetzt hatte sie keine andere Wahl, als allein
zu gehen.
»Dann danke ich Ihnen vielmals«, sagte sie,
nachdem sie einen tiefen Atemzug getan hatte. Ihr Blick wanderte an der rothaarigen
Frau mit dem hübschen, aber erschöpften Gesicht vorbei zu dem wunderschönen
himmelblauen Satin, der auf dem Tisch lag. »Das wird ja ein ganz reizendes
Kleid werden.«
»Ja, das wird es.« Nicht einmal ein kleines Lächeln umspielte
Maggies Lippen. »Sollten Sie mal ein auf Maß gefertigtes Kleid benötigen,
lassen Sie's mich wissen. Ich arbeite ausgezeichnet und bin billiger als jeder
andere in der Stadt, das kann ich Ihnen versichern.«
Maggie schien es mit ihrer Arbeit außerhalb
der Fabrik sehr ernst zu nehmen. Francesca entschied sich spontan, auf das
Angebot einzugehen. »Ich benötige in der Tat einige neue Kleider für den
Frühling und werde mich unverzüglich mit Ihnen in Verbindung setzen.«
Maggies Augen begannen zu leuchten. »Sie
werden es nick bereuen«, versicherte sie. Dann fügte sie hinzu: »Ich hole
Ihnen 'ne Kerze, damit Sie besser nach unten kommen. Sie können sie mir ein
anderes Mal zurückgeben.« Unvermittelt schloss sie die Tür, und Francesca stand
im Dunklen da. Die Tatsache, dass diese Frau so arm war, dass sie ihr eine
Kerze, die gerade einmal einen Penny kostete, nur zu leihen vermochte, brach
Francesca das Herz.
Die Tür öffnete sich wieder, und Maggie
reichte ihr mit dem Anflug eines Lächelns eine kleine, brennende Kerze. »Gute
Nacht, Miss Cahill«, sagte sie und schloss die Tür umgehend wieder.
Francesca murmelte: »Gute Nacht«, drehte sich
um und eilte mit der Kerze in der Hand, die kaum dicker war als ihr kleiner
Finger und nur wenig Licht spendete, nach unten. Doch immerhin reichte es aus,
um einer faulen Kartoffel auszuweichen, die jemand einfach auf die unebenen
Stufen geworfen hatte.
Auf der Straße wartete die Droschke, und Francesca jubilierte
innerlich – ihr Kniff hatte funktioniert! Sie kletterte in den Einspänner und
nannte dem Kutscher Georgette de Labouches Adresse. Als die Droschke
losschaukelte, klirrte das Geschirr des Pferdes, und seine Hufe klapperten über
die Pflastersteine. Irgendwo in der Ferne vernahm Francesca das Horn eines
Feuerwehr-Fuhrwerks. Sie hoffte inständig, dass sie nicht in irgendeine Falle
tappen würde. Eine innere Stimme sagte ihr, dass irgendetwas nicht mit rechten
Dingen zuging.
Als plötzlich etwas gegen die Seite der Droschke schlug, zuckte
Francesca vor Schreck zusammen. Dem Kutscher erging es offenbar ebenso, denn er
blickte über seine Schulter zurück, während der Rappen in seinem Geschirr
ungerührt weitertrabte. In diesem Moment wurden sie links von einer stattlichen,
von vier Braunen gezogenen Kutsche überholt.
»Hey! Hau ab!«, schrie der Kutscher plötzlich
jemandem zu. Francesca sah voller Verblüffung, wie sich die Tür der Droschke
öffnete und sich eine kleine, in einen Mantel gehüllte Gestalt auf den Sitz
neben sie warf. Sie erkannte den Jungen sogleich.
»Puh, ist das kalt!«, rief Joel.
Francesca griff über ihn hinweg, um die Tür zu
schließen. »Das ist ein Freund, alles in Ordnung«, rief sie dem Kutscher zu.
Der Kutscher murmelte etwas Unverständliches,
offenbar nicht gerade Freundliches in sich hinein. Dann bog er in die Fourteenth
Street und fuhr in westlicher Richtung weiter. Der Verkehr war hier nicht
besonders dicht; Francesca sah nur wenige andere Droschken, die in verschiedene
Richtungen unterwegs waren.
Sie wandte sich dem
dunkelhaarigen Jungen mit der auffallend hellen Haut zu. »Woher wusstest du,
dass ich es bin, Joel?«
Er rieb die in Lumpen gehüllten
Hände aneinander und grinste. »Wer würde wohl sonst in meinem Viertel in sonem
schicken Gespann rumfahren, Miss?«
Sie strahlte ihn an. »Ich habe nach dir
gesucht.«
»Nach wem auch sonst«, erwiderte er und
grinste sie an.
»Ich möchte, dass du für mich arbeitest, Joel. Ich benötige deine
Dienste«, fügte sie hinzu, und während sie dies sagte, wurde ihr klar, dass sie
ihn tatsächlich brauchte, dringend sogar, und nicht nur als Stadtführer,
sondern noch für etliche andere Dinge. Sie hatte zwar nicht vor, sich seiner
Talente als Langfinger zu bedienen, aber er war gewieft und clever, und sie
hatte in den vergangenen zwei Wochen schon viel von ihm gelernt.
»Joel, ich biete dir eine Anstellung an«, erklärte sie und beschloss,
nicht mehr über das Tafelsilber ihrer Mutter nachzudenken. Eine Woche
Weitere Kostenlose Bücher