Brenda Joyce
vermochte, lagen sie beide eng umschlungen
ausgestreckt auf ihrem Bett. Er hielt sie fest, streichelte ihr feines,
seidiges, hellblondes Haar und küsste sie auf den Scheitel. Und plötzlich sah
er erneut Randall vor sich, der ihn anzüglich angrinste, und erstarrte.
Es war einfach unglaublich! Nicht einmal das Zusammensein mit
dieser wundervollen Frau vermochte den Toten aus seinen Gedanken zu
verscheuchen. Er musste sich anscheinend wohl oder übel der Tatsache stellen,
dass er niemals erfahren würde, was der Mann wirklich für ihn empfunden hatte.
»Calder? Alles in Ordnung? Geht es dir gut?« Daisy rückte ein
wenig von ihm ab, um ihn anzusehen.
Die Besorgnis in ihren Augen war echt. Aber er hatte diese Frau nur
gekauft; es war sein Wunsch gewesen, doch in diesem Moment erschien es ihm
irgendwie verwerflich.
Er lächelte sie an. »Mein Verlangen nach dir ist noch nicht
gestillt«, sagte er.
Kapitel 19
SONTAG, 3. FEBRUAR 1902 – 19 UHR
Francesca saß
an ihrem Schreibtisch und lernte für ihr Studium – mit sehr wenig Begeisterung
und noch weniger Aufmerksamkeit. Die Worte von Madame Bovary verschwammen
vor ihren Augen, sie gerieten durcheinander und wollten einfach keinen Sinn
ergeben.
Sie würde niemals Braggs Frau werden.
Sie würde niemals ihr Leben mit ihm teilen.
Sie würden niemals mehr sein als Freunde.
Es tat so weh! Das Buch glitt ihr aus den Händen und fiel zu
Boden, während ihr eine einzelne Träne über die Wange lief. Sie fragte sich, wie
lange es wohl dauern mochte, bis ein gebrochenes Herz zu heilen begann.
»Miss Cahill, Sie haben einen Besucher«, ertönte plötzlich die
Stimme des Hausmädchens.
Francesca wischte sich über die Augen und
blickte zu der Frau auf, die im Türrahmen ihres großen, erst kürzlich in einem
Mauve-Ton gestrichenen Zimmers stand. Dann schaute sie auf die bronzene
Louis-quatorze-Uhr, die auf dem Marmorsims über dem Kamin stand, und fuhr
zusammen – es war ja bereits sieben Uhr! Sie hatte Mark Anthony ganz vergessen.
Bestimmt war er gekommen, um sie abzuholen.
Sie musste sich zusammenreißen. Jetzt galt es, ihren Kummer zu
vergessen – oder zumindest so zu tun –, denn sie hatte einen Fall zu lösen.
Aber wo blieb nur Joel? Er war noch nicht wieder aufgetaucht, und Francesca
hatte Angst, allein mit Anthony loszufahren. Wenn dieser Mann nun der Mörder
war? Denn wer war er, wenn er nicht Georgettes Bruder war, und warum war er in
ihre Angelegenheiten verwickelt? Einen Moment spielte Francesca mit dem
Gedanken, Bragg anzurufen und ihm zu erzählen, was sie vorhatte, doch dann
beschloss sie, es nicht zu tun. Er würde nur glauben, dass sie ihm nachliefe,
was sie nun wirklich nicht wollte.
Aber viel schlimmer war, dass sie es nicht ertragen würde, seine
Stimme zu hören.
Glücklicherweise waren ihre Eltern ausgegangen, sodass es ein
Leichtes sein würde, sich hinauszuschleichen. Sie verspürte ein schmerzhaftes,
beharrliches Pochen in den Schläfen. »Vielen Dank, Melinda. Ich komme sofort
herunter«, sagte sie. »Wer ist es denn?«
»Mr Hart, Miss«, erwiderte das ältliche Dienstmädchen und hielt
ein kleines Silbertablett in die Höhe.
Francescas Herz begann heftig zu klopfen. Hart war hier? Zu dieser
Stunde?
Sie musste gar nicht erst seine Visitenkarte in die Hand nehmen,
da sie seinen Namen darauf bereits erkannt hatte, tat es aber dennoch. »Vielen
Dank. Richten Sie ihm bitte aus, dass ich gleich herunterkommen werde.«
Das Hausmädchen ging, und Francesca starrte
auf Harts Karte und fragte sich, was er wohl von ihr wollte. Es war eine
eigenartige Uhrzeit für einen Besuch. Gemeinhin empfing man Besucher zwischen
zwölf und vier oder fünf Uhr nachmittags. Jeder wusste, dass sich eine Dame
von Stand danach vor den abendlichen Veranstaltungen ausruhte. Aber natürlich
scherte sich Hart einen Teufel um irgendwelche Konventionen.
Bei dem Gedanken musste Francesca unwillkürlich lächeln. Sie begab
sich in ihr Badezimmer, und als sie ihr unglückliches Gesicht mit den geröteten
Augen im Spiegel erblickte, erstarb ihr Lächeln. Seufzend trug sie einen Hauch
Rouge auf Lippen und Wangen auf, was aber auch nichts half. Francesca wischte
den Puder wieder ab, griff nach ihrer Handtasche, damit sie später nicht noch
einmal heraufkommen musste, um sie zu holen, und eilte nach unten.
Hätte es diesen Tag doch niemals gegeben!
Aber das hätte auch nichts daran geändert, dass Bragg verheiratet
war.
Wenn ihr doch nur das Herz nicht so schmerzte, dann
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