Brenda Joyce
müssen – bis Bragg schließlich
einsähe, wie unschätzbar wertvoll ihre Mithilfe war.
»Was machst du denn hier, und wie viel Uhr
ist es überhaupt?« Francesca schlug ihre Bettdecke mit Schwung zur Seite und
warf dabei einen Blick auf das Fenster mit den nur halb zugezogenen Vorhängen.
Sie hatte offenbar verschlafen, denn draußen stand die Sonne bereits hoch am
Himmel.
»Es ist schon nach zehn, und ich muss zugeben, dass ich
schlichtweg schockiert bin, dass du noch im Bett herumlümmelst!« Connie hatte
die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte erneut.
»Ich bin spät zu Bett gegangen«, gab Francesca zu. Die Schwestern
standen sich sehr nah, und Francesca freute sich stets, Connie zu sehen. Ihr
gutes Verhältnis ließ sich vielleicht dadurch erklären, dass es zwischen ihnen
kaum Rivalitäten gab, da sie – obwohl sie sich äußerlich sehr ähnlich sahen –
so verschieden waren. Während Francesca der Blaustrumpf und die Reformistin der
Familie war, verkörperte Connie die perfekte Gastgeberin, elegante Ehefrau und
liebende Mutter zweier süßer kleiner Mädchen. Schon als junges Mädchen hatte
Francesca lieber gelernt, während Connie ihre Mutter zu Teegesellschaften
begleitete. Im Unterschied zu ihrer Schwester interessierte sich Francesca auch
nie für ihre Verehrer. Sie hatte insgeheim immer schon gewusst, dass sie eine
Heirat so lange wie möglich hinausschieben wollte. Connie dagegen hatte immer
in aller Offenheit davon geschwärmt, dass sie heiraten wolle, sobald sie alt
genug dafür sei. Mit siebzehn hatte sie dann Neil Montrose kennen gelernt, und
ein Jahr später hatten die beiden bereits geheiratet. Inzwischen war sie
zweiundzwanzig.
»Du musst aber wirklich sehr spät zu Bett
gegangen sein«, sagte sie jetzt. »Hast du wieder einmal bis zum Morgengrauen
gelernt?«
Francesca, die mittlerweile aufgestanden war und in ihrem
hellblauen Seidennachthemd fröstelte, grinste. »Nein. Stell dir vor, ich habe
meinen ersten Fall, Con!«, rief sie, wobei sie sich bemühte, leise zu sein,
doch es fiel ihr schwer, ihre Aufregung zu verstecken.
»Deinen ersten was?«, fragte
Connie mit gerunzelter Stirn. »Meinen ersten Fall.« Als Connie immer noch nicht
zu begreifen schien, erläuterte Francesca: »Als Kriminalistin, Con. Schon
vergessen?«
Connie blinzelte. »Wie bitte?«
Francesca mochte gar nicht glauben, dass Connie offenbar nicht
begriff, wovon sie sprach. Sie streckte ihre Hand nach der Handtasche aus, die sie am Abend zuvor bei sich gehabt hatte,
und holte eine Visitenkarte daraus hervor, die sie Connie reichte. »Habe ich
dir denn die Karten noch nicht gezeigt? Ich habe sie am Donnerstag bei
Tiffany's abgeholt.«
Connie warf einen Blick auf die Karte und
keuchte unwillkürlich auf. »Ach, du meine Güte! Als ich sagte, du solltest
Kriminalistin werden, da habe ich das doch im Scherz gemeint, Francesca! Und
was ist mit deinem Studium?« Sie war offensichtlich wirklich erschrocken und
starrte ihre Schwester aus weit aufgerissenen Augen an.
Francesca blinzelte, nahm ihre Karte wieder an sich und verstaute
sie in der Handtasche. »Ich kann dir versichern, dass mein Studium nicht
darunter leiden wird.«
»Und was soll das heißen, du hast deinen ersten Fall? Was darf ich
mir darunter vorstellen?«, fragte Connie nervös, um dann sogleich hinzuzufügen:
»Mama wird uns beide umbringen, wenn sie davon erfährt!«
»Sie wird nichts davon erfahren«, erwiderte Francesca mit
gesenkter Stimme, doch der warnende Tonfall darin war nicht zu überhören.
Connie warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Du weißt genau, dass
es auf Dauer unmöglich ist, ein Geheimnis vor Mama zu bewahren! Sie ist über
alles bestens informiert, was ihre Lieben und die Menschen angeht, die sie als
wichtig erachtet.«
Das entsprach leider der Wahrheit. Julia war
zweifellos eine der klügsten und angesehensten Frauen in ganz New York. Sie war
mit sämtlichen wichtigen Persönlichkeiten bekannt und verkehrte regelmäßig mit
der Elite der Stadt. Sie war die treibende Kraft hinter beinahe jedem
gesellschaftlichen, politischen oder gemeinnützigen Ereignis und vermochte
Berge zu versetzen, wenn ihr der Sinn danach stand. Besser noch, sie vermochte
den Berg dazu zu bewegen, zu ihr zu kommen. »Das gefällt mir ganz und gar
nicht«, sagte Connie.
»Das tut mir Leid. Aber es besteht kein Grund zur Sorge. Vielleicht
hätte ich es dir besser nicht erzählen sollen. Also, was tust du hier– an einem
Samstagmorgen?«
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