Brennen Muss Salem
daß du kamst –
Diese Erinnerung hatte die Stärke einer sinnlichen Wahrnehmung, und einen Augenblick lang war Ben wie gelähmt. Er konnte den Geruch von Mörtel und den intensiven Gestank von Tieren, die im Mauerwerk niesteten, förmlich riechen.
Es war ihm, als ob die gefirnißte Holztür zu Matt Burkes Gästezimmer zwischen ihm und den Geheimnissen der Hölle stehe.
Dann drehte er den Messingknopf und stieß die Tür auf. Matt war hinter ihm und preßte Evas Kruzifix an sich.
Das Gästezimmer schaute nach Osten und am Horizont ging gerade die Sonne auf ... Ihre ersten schwachen Strahlen fielen durch das Fenster auf das weiße Leintuch, das Mike Ryerson bis zum Hals bedeckte.
Ben sah Matt an und nickte. »Es geht ihm gut«, flüsterte er.
»Er schläft.«
Matt sagte tonlos: »Das Fenster steht offen. Es war geschlossen, als ich ging. Dessen bin ich ganz sicher.«
Bens Blick fiel auf das tadellos gebügelte Leintuch und auf einen kleinen, bereits getrockneten Blutfleck.
»Ich glaube nicht, daß er atmet«, sagte Matt.
Ben tat zwei Schritte und blieb stehen. »Mike? Wach auf, Mike.«
Keine Antwort. Mikes Augen waren geschlossen. Sein Haar fiel in leichten Locken über die Stirn, und Ben dachte, daß er in diesem zarten Licht mehr als gutaussehend war; er war schön wie eine griechische Statue. Seine Wangen leuchteten rosig, und von der tödlichen Blässe, die Matt erwähnt hatte, war nichts zu sehen.
»Natürlich atmet er«, sagte Ben ein wenig ungeduldig. »Er schläft nur sehr tief. Mike –« Er schüttelte Ryerson sanft. Mikes linker Arm fiel herab und die Handknöchel klopften auf den Boden, als heischten sie Einlaß.
Matt nahm Mikes schlaffen Arm und preßte den Daumen gegen das Handgelenk. »Kein Puls.« Er wollte die Hand loslassen, erinnerte sich jedoch an das fürchterliche, krachende Ge-räusch, das die Fingerknöchel produziert hatten, und legte den Arm quer über Ryersons Brust. Er wäre sofort wieder heruntergefallen, doch Matt verzog sein Gesicht und legte ihn ein zweites Mal zurück. Jetzt blieb der Arm liegen.
Ben wollte es nicht glauben. Mike schlief. Mußte schlafen.
Die gute Farbe, die halb geöffneten Lippen, als zöge er den Atem ein. Ben berührte Ryersons Schulter und fand die Haut kühl.
Ben benetzte einen Finger und hielt ihn vor Mikes halbgeöffnete Lippen. Nichts. Kein Hauch.
Ben und Matt blickten einander an.
»Die Male am Hals?« fragte Matt.
Ben nahm Ryersons Kinn in die Hand und drehte vorsichtig Mikes Kopf zur Seite.
Mike Ryersons Hals zeigte keine Male.
Wieder saßen sie am Küchentisch. Es war halb sechs Uhr. Sie konnten das Muhen von Griffens Kühen hören, die man auf die Weide ließ.
»Glaubt man der Legende, so verschwinden die Male«, sagte Matt unvermittelt. »Wenn das Opfer stirbt, verschwinden sie.«
»Ich weiß«, sagte Ben und dachte an Stokers ›Dracula‹.
»Wir müssen einen Pfahl durch sein Herz stoßen.«
»Das sollten Sie sich zweimal überlegen«, sagte Ben und trank einen Schluck Kaffee. »Wie wollen Sie das dem Leichenbeschauer erklären? Vermutlich würde man Sie wegen Leichenschändung ins Gefängnis stecken. Oder vielleicht ins Irrenhaus.«
»Halten Sie mich für verrückt?« fragte Matt ruhig.
Ohne merkbares Zögern erwiderte Ben: »Nein.«
»Glauben Sie, was ich Ihnen von den Bißspuren sagte?«
»Ich weiß es nicht. Warum sollten Sie mich anlügen? Sie würden vermutlich nur lügen, wenn Sie ihn getötet hätten.«
»Vielleicht tat ich das«, sagte Matt und beobachtete Ben.
»Dagegen sprechen drei Erwägungen. Erstens: wo ist ein Motiv? Entschuldigen Sie, Matt, aber für die klassischen Motive wie Eifersucht oder Geld sind Sie zu alt. Zweitens: was war Ihre Methode? Für einen Giftmord sieht er zu friedlich aus.«
»Und was ist die dritte Erwägung?«
»Kein Mörder, der bei klarem Verstand ist, würde eine Geschichte wie die Ihre erfinden. Das wäre heller Wahnsinn.«
»Damit kehren wir wieder zu meinem Geisteszustand zu-rück«, sagte Matt seufzend. »Ich wußte es.«
»Ich glaube nicht, daß Sie verrückt sind«, sagte Ben, das erste Wort ein wenig betonend. »Sie scheinen durchaus vernünftig zu sein.«
»Aber Sie sind kein Arzt«, entgegnete Matt. »Verrückte können sehr oft Vernunft vortäuschen.«
Ben nickte. »Also, wo stehen wir?«
»Wieder am Anfang.«
»Nein, das können wir uns nicht leisten, denn oben liegt ein toter Mann, und das werden wir sehr bald melden müssen. Der Polizist wird wissen wollen,
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